Canelas 2010, eine Amateurmannschaft in der vierten portugiesischen Liga, startete im Oktober 2016 eine Siegesserie, die es in sich hatte. Man ließ in elf Spielen keinen einzigen Punkt liegen und kassierte dazu noch kein Gegentor. Ein Aufschwung in Form, der den so wichtigen Aufstieg in die dritte Liga plötzlich realistisch erscheinen ließ. Es war die Art von Lauf, die im Normalfall die Scouts der großen Vereine in Scharen kommen lässt, um dieses kleine Wunder mit ihren eigenen Augen zu betrachten. Allerdings sah sich niemand die Spiele von Canelas an. Es war nicht möglich, denn sie haben nicht stattgefunden. Es ist eine unglaubliche Geschichte, die man so in Deutschland noch nie gehört hat. (Bild: IMAGO / GlobalImagens)
Obwohl man jedes dieser Spiele formell mit 3-0 gewann, fanden davon keine statt. Nach einem torlosen Unentschieden gegen Padroense am 23. Oktober 2016, traute sich niemand mehr gegen Canelas anzutreten. Die Spieler waren zu gewalttätig und auch die eingeschüchterten Schiedsrichter griffen nicht ein. Man zahlte lieber 800 € Strafe, die ein Nichtantreten zur Folge hat, als sich solchen Zuständen auszusetzen. Canelas 2010 wurde zu einer Mannschaft ohne Gegner. Eine Mannschaft, vor der die ganze Liga Angst hatte.
Der Kapitän Facundo Madureira, auch Macaco (Portugiesisch für Affe) genannt, trat zur Presse und verdeutlichte sein Unverständnis. "Es ist unfair. Wir sind kein gewalttätiges Team. Wir spielen wie alle anderen auch: Wir wollen nicht verlieren, wir hängen uns rein, wir kämpfen und lassen alles auf dem Spielfeld."
Die anderen Vereine waren allerdings anderer Meinung. Sie hielten heimliche Meetings, um über Canelas 2010 zu diskutieren, und kamen bis auf zwei Ausnahmen zu dem Entschluss, nicht weiter gegen die Aggressoren anzutreten. Vom besagten torlosen Unentschieden gegen Padroense im Oktober 2016 bis zum 26. Februar 2017 trauten sich nur zwei Mannschaften, sich Canelas zu stellen. Eins dieser Spiele verloren sie mit 0-2, was ihre einzige Niederlage in der regulären Saison war. Bei den restlichen 16 Spielen blieben die Sportplätze leer.
Aufstieg ohne Gegenwehr?
Das Ligasystem in der vierten portugiesischen Spielklasse sieht nach der regulären Saison eine Qualifikationsrunde vor, in der die bestplatziertesten Mannschaften nochmal gegeneinander antreten. Dem einhergehend wurde auch der Spielbetrieb im Estadio de Canelas, der Spielstätte Canelas 2010, reanimiert. Schließlich ging es auch für die restlichen Mannschaften um den Aufstieg in die dritte Liga, und den wollte niemand verschenken. Schon gar nicht an das allseits gehasste Canelas.
Vor Ort herrschte durchweg eine Polizeipräsenz, um jegliche Zwischenfälle zu vermeiden. In den ersten beiden Spielen funktionierte diese Maßnahme der Regierung auch sehr gut. Nach einem Sieg und einer Niederlage trat man im dritten Spiel gegen Rio Tinto an. Es wurde zu einem Spiel, an das man sich erinnern würde, als Marco Goncalves, Stürmer für Canelas, nach zwei Minuten bereits vom Platz flog. Grund dafür war eine Tätigkeit am gegnerischen Verteidiger. Dass er diesen ins Gesicht schlug, war aber nicht der Skandal. Nachdem der Schiedsrichter ihm folgerichtig die rote Karte zeigte, packte er ihn erst am Nacken und brach ihm dann mit seinem Knie die Nase. Der Schiedsrichter sackte nach dem Angriff in sich zusammen. Goncalves erklärte im Nachhinein, dass er sich daran nicht mehr erinnern kann. Zu seinem Pech wurde sein Attentat aber gefilmt. Canelas 2010 trennte sich von seinem Spieler und er wurde für viereinhalb Jahre vom Fußball gesperrt. Dazu kam dann noch eine elfmonatige Haftstrafe. Das Spiel wurde abgebrochen und am grünen Tisch für Rio Tinto gewertet. Die betroffene Mannschaft boykottierte das Rückspiel sechs Wochen später. Eine Entscheidung, die Canelas weitere drei Punkte bescherte und somit den Aufstieg perfekt machte. Sie beendeten die Saison nur einen Punkt vor Rio Tinto, das mit einem Sieg hätte vorbeiziehen können.
Was hat es mit Canelas 2010 auf sich?
Canelas 2010 wurde, wie es der Name schon sagt, im April 2010 neu gegründet, nachdem der vorherige Verein in der 14 tausend Einwohner großen Stadt im Norden Portugals wegen finanziellen Problemen aufgelöst wurde. Canelas Gaia Futebol Clube schloss seine Tore im Jahre 2006 nach genau 50 Jahren Vereinshistorie. Wiederaufgenommen wurde der Spielbetrieb im Estadio de Canelas, als die Ultragruppierung des FC Porto, die sogenannten Super Dragoes, den Verein finanziell reanimierten. Der bereits genannte Fernando Madureira, auch Macaco genannt, galt als Anführer der Super Dragoes und wurde Haupteigentümer des Amateurvereins. Erst Anfang 2021 verkaufte er 51 % des Vereins an einen portugiesischen Geschäftsmann namens Caesar DePaco. Macaco behielt dennoch 39 % der Anteile. Er erhoffte sich jedoch, durch das Investment DePacos einen wichtigen Schritt in Richtung Professionalisierung des Vereins zu machen.
DePaco ist nicht frei von Kontroversen. Er klagte 2021 gegen seinen Wikipedia-Eintrag, der beweisen sollte, dass sein Unternehmen Summit Nutritionals International gefälscht sein sollte. Er kaufte sich wohl seine Position im kapverdischen Konsulat in Miami, um diplomatische Immunität und die Möglichkeit, unkontrolliert Ländergrenzen zu passieren, zu genießen. Außerdem spendete er bereits großzügige Summen an die sehr rechts orientierte portugiesische Partei CHEGA!. Er kam durch einen Mittelsmann in dieser Partei, der auch Mitglied bei den Super Dragoes ist, und wahrscheinlich auch aufgrund seiner vorteilhaften politischen Position im kapverdischen Konsul in Miami in Verbindung mit Fernando Madureira, dem Eigentümer und Kapitän von Canelas 2010.
Macaco hatte als Anführer der Super Dragoes, den Ultras des FC Portos, kein in Deutschland übliches Verhältnis zum Verein. Es heißt, dass die Ultras tagsüber mit den Spielern in der Kantine aßen und abends mit der Geschäftsführung in den Besprechungen saßen. Der Einfluss war enorm und die Super Dragoes keinesfalls harmlos.
Macaco steht wegen verschiedener Straftaten unter Verdacht, darunter Geldwäsche, Drogenhandel, illegalem Waffenbesitz und zahlreicher Gewaltdelikte. Die Konsequenzen musste er aufgrund seiner Verbindung zu Caesar DePaco und dem kapverdischen Konsul allerdings nicht spüren. Stattdessen terrorisiert er die Straßen Portos, die größtenteils unter seinem Einfluss sind. Jeder weiß mittlerweile, wer Fernando Madureira ist und wie gefährlich er sein kann. Als Schiedsrichter oder Gegenspieler auf dem Fußballfeld ist man also gut beraten, ihn nicht zu verärgern. Es wäre nicht unüblich, wenn man außerhalb des Platzes die Konsequenzen spüren müsste. Auch auf die Politik des Landes soll er angeblich Einfluss haben. Er ist in allen Bereichen sehr gut vernetzt und als Anführer kontrolliert er die Stadt Porto, wie man es aus Mafia-Filmen kennt.
Quando jogas contra o Canelas 2010 pic.twitter.com/aJzkynjr0j
— frases de m3rda (@frasesdem3rda) April 27, 2021
Mit vier weiteren Mitgliedern der Super Dragoes spielte er für Canelas 2010 und nutzte die Furcht seiner Gegenüber gnadenlos aus. Er spielte das Spiel nach seinen Regeln, und wenn sich jemand daran nicht halten wollte, musste er dafür bluten. Ob noch auf dem Platz oder außerhalb. Die restlichen Super Dragoes taten ihren Anteil, wenn der FC Porto nicht spielte, von den Rängen und schüchterten die Gegenspieler und Schiedsrichter ein. Auch sie blieben dabei nicht immer harmlos.
Wo ist Canelas 2010 heute?
Nach dem umstrittenen Aufstieg in der Saison 2016/17 hatten sie es nicht mehr so leicht. Die dritte portugiesische Liga ist schließlich überregional, was die Einflussstärke Macacos und der Super Dragoes im Allgemeinen mindert, da diese sehr stark in Porto konzentriert ist. Sie stiegen in der darauffolgenden Saison sofort wieder ab. Es sollte aber nicht bei einem Intermezzo bleiben. Der direkte Wiederaufstieg in der Saison 2018/19 führte Canelas wieder dorthin, wo sie zwei Jahre zuvor bereits standen. Dieses Mal aber mit weitaus weniger Kontroverse, und auch die Ergebnisse wurden besser. Ein Aufstieg aus der dritten Liga war nie in Sichtweite, aber ebenso gelang es ihnen, einen Abstieg zu vermeiden. Man spielt auch heute noch in dieser Liga und befindet sich auf dem zweiten Platz in den Play-Offs um die Relegation. Die sechs schlechtplatziertesten Mannschaften der Liga treten in einer Mini-Liga nochmals gegeneinander an, um die zwei endgültigen Absteiger zu bestimmen.
Liga 3️⃣ | Canelas 2010 garantiu a permanência na Liga 3️⃣ pic.twitter.com/g90Yg99m3M
— Cabine Desportiva (@CabineSport) April 16, 2023
Mittlerweile spielen die Anhänger der Super Dragoes nicht mehr für Canelas 2010, weshalb auch die Schlagzeilen um den portugiesischen Amateurverein weniger werden. Macaco hat sich der bürokratischen Seite zugewandt und führt die Geschicke in Zusammenarbeit mit Caesar DePaco. Dieser wurde 2019, wahrscheinlich über die Verbindung mit Macaco, offizieller Botschafter des FC Porto und nur ein Jahr später schließlich auch Präsident von Canelas 2010. Das Hauptziel seines Investments beim portugiesischen Amateurverein war es, den Ruf des Vereins aufzubessern. Die Vergangenheit sei nun mal die Vergangenheit und ließe sich zwar nicht mehr verändern. Dennoch wolle man nach vorne schauen und ein Paradigma für Respekt sowie eine Basis für junge Leute in ihrer Entwicklung sein. Ein hoffnungsvoller Start, der mittlerweile versauerte. Eine verschwundene Zahlung DePacos und ein daher ausstehendes Investment haben das Tischtuch zwischen den beiden Protagonisten zerrissen. Die Überweisung zum Erwerb von 51 % der Anteile des Vereins sei wie verschwunden und niemals aufgetaucht. Daher habe er weitere finanzielle Förderungen erstmal auf Eis gelegt, zum Unverständnis Macacos, der sich hierbei auf den festgelegten Vertrag beruft. Es ist eine juristische Schlammschlacht geworden, die auch medial verstärkt in den Fokus geriet.
Canelas 2010 ist ein Verein von Kontroversen verfolgt. Die Skandalsaison 2016/17 wird in Portugal noch lange im Gedächtnis bleiben. Davon haben sie sich mittlerweile entfernt. Lediglich außerhalb des Platzes ist der Verein noch in zahlreiche Kontroversen involviert. Die Ambitionen innerhalb des Vereins sind groß und man ist gewillt, den Verein auch in die sportliche Relevanz zu führen.