Aus den Niederungen der zweiten englischen Liga scheint Adama Traore wie Phoenix aus der Asche empor zu steigen. Vor nichtmals einem Jahr wurde das „La Masia-Talent“ nach seinem enttäuschenden Engagement bei Aston Villa von vielen Experten bereits als gescheitert deklariert. Er spiele nicht mannschaftsdienlich genug, sei zu egoistisch, zu uneffektiv, zu unkonstant. Hartes Brot für den ehemaligen Barca-Akteur.
Dass seine Entwicklung solch einen Rückschlag erleiden würde, hätte vor drei Jahren wohl niemand erwartet. Nur wenige Minuten brauchte Traore, um die Fans der „Blaugranas“ bei seinem La Liga-Debüt aus den Sitzschalen zu reißen. Nach nur acht Minuten auf dem satten Grün des Camp Nou stellte sich der damals 19-Jährige gleich drei Gegenspielern des FC Granada auf einen Schlag, er zog an und trickste sie mit einer Selbstverständlichkeit aus, sodass selbst ein Zlatan Ibrahimovic sein Selbstbewusstsein hinterfragt hätte.
Seinem spektakulären Debüt verlieh er in der Copa del Rey gegen Zweitligist SD Huesca weiteren Nachdruck, als er nach seiner Einwechslung sogar vier Opponenten ausspielte, um dann cool per Beinschuss sein erstes Tor für das Profiteam zu erzielen. Sein Treffer war dermaßen spektakulär, dass er in den sozialen Netzwerken viral ging. Alle waren sich sicher, dass dieser Rohdiamant den Fußball verändern wird.
Ein Schritt zurück, zwei nach vorne
Nach seinen Startschwierigkeiten auf der Insel verschwand er jedoch mit dem FC Middlesbrough für eine Spielzeit in der Championship, Englands zweiter Liga, arbeitete hart an seinen Defiziten und avancierte unter Trainer Toni Pulis zum absoluten Leistungsträger des Erstligaabsteigers.
Am Ende standen 15 Scorerpunkte (5 Tore, 10 Vorlagen) in 35 Championship-Partien auf dem Konto des Spaniers mit malischen Wurzeln. Zwar kein Spitzenwert, jedoch eine ganz eindeutige Steigerung seiner Effektivität und Konstanz, da er oftmals derjenige war, der Pulis Mannen im Alleingang durch die raue Championshipluft trug.
Der Aufstieg gelang den rot-weißen Löwen trotz eines überragenden Traore bedauerlicherweise nicht, denn man musste sich in den Play-Offs Aston Villa geschlagen geben. Doch wenigstens konnte der Jungspund seinen ganz persönlichen Aufstieg zelebrieren.
Denn die Wölfe aus Wolverhampton sicherten sich die Dienste des Flügelstürmers für ganze 20 Millionen Euro – bis dato Vereinsrekord für den Premier League-Aufsteiger und amtierenden Meister der zweithöchsten englischen Spielklasse. Doch was genau veranlasst den Verein aus den West Midlands, den ehemaligen spanischen U21-Nationalspieler gleichermaßen zum teuersten Boro-Abgang zu machen?
Stärken:
Adamas größter Vorzug stellt ohne Zweifel sein Dribbling dar. Es ist eine pure Augenweide zu sehen, wie er reihenweise gegnerische Abwehrspieler wie unbewegliche Statuen mit dem Antritt eines defekten Traktors aussehen lässt. Traore führt seine Dribblings in einem dermaßen hohen Tempo aus, dass ihm kaum einer hinterherkommt. In seinem ersten Premier League-Einsatz für Middlesbrough gewann er gegen die Stars von Manchester City unfassbare neun Dribblings, und das auf allerhöchstem Niveau.
Das größte Plus ist dabei seine unglaubliche Schnelligkeit, und das in jederlei Hinsicht. Egal ob es beim Antritt, der Endgeschwindigkeit oder der Entscheidungsfindung ist. Nicht umsonst trägt er auf der Insel den Spitznamen „Arrow“ mit sich. Der neue Mann der „Wolves“ gewann laut Squawka.com in der Premier League Saison 2016/17 mehr Dribblings (136) als Messi (119) und Ronaldo (31) in La Liga.
Letzte Saison schaffte er 243 erfolgreiche 1-gegen-1-Duelle in 303 Versuchen auf Championship-Niveau und war damit 132 Punkte besser als der zweitplatzierte Sammy Ameobi von den Bolton Wanderers! Dies entspricht einer exzellenten Erfolgsquote von 80,1%!
Kraftvoll wie ein Bulldozer
Doch neben seiner Schnelligkeit ist er gleichermaßen physisch eine Wucht. Kommt er erstmal ins Rollen, dann ist er kaum aufzuhalten. Ob Trikotziehen, einfädeln oder die klassische Grätsche, Traore fährt wie ein unbezwingbarer Bulldozer einfach weiter, als würde es ihn nicht die Bohne interessieren, dass er beispielweise einen 90 Kilogramm-Hünen mit sich zieht.
Seine Ausdauer ist ebenso enorm, wenn man sich vor Augen hält, wie kraftaufwendig sein Spiel mit den zahlreichen 1-gegen-1-Duellen ist. Wäre er ein Superheld, dann könnte man ihn als eine Hybrid aus Hulk und Flash bezeichnen.
Durch seine effektiven Dribblings schafft er es immer wieder Überraschungsmomente heraufzubeschwören und Chancen für sein Team zu kreieren. Gerade gegen tiefstehende Gegner ist ein Adama Traoré mit seinen Einzelaktionen ein Segen für jedes Team, da er gut stehende Defensivreihen auseinanderzieht und damit Räume für seine Mannschaftskollegen schafft.
Der mit den Wölfen tanzt
Darüber hinaus ist der Offensivspezialist technisch überaus versiert und weiß jeden Ball unter Kontrolle zu bringen. Besonders beeindruckend ist, mit welch technischer Eleganz er Flanken mit dem Außenrist schlägt oder Bälle innerhalb des Sechzehners kurzerhand aus dem Stand in die Gefahrenzone lupft.
Das bekam vor allem sein neuer Klub aus Wolverhampton letzte Saison in der Championship zu spüren, als er in der Nachspielzeit einen Ball per Hacke verlängerte und Stürmer Bamford den Ball in der 94. Minute zum 1:2 ins Tor drosch – Whoscored benotete ihn anschließend mit einer sensationellen 9.0, was nicht nur dem Hacketrick zuzuschreiben war, sondern dass er die Wölfe fast im Alleingang unterhielt.
Schwächen:
Genug geschwärmt, wie du dir denken kannst, gibt es durchaus Gründe, weshalb diese Dribbelmaschine in Englands zweiter Liga Vorlieb nehmen musste. Diese werden wir nun erläutern. Adamas Probleme fangen nämlich an, sobald er sich vom Ball trennen muss, um es überspitzt auszudrücken.
Wenngleich seine Flanken mittlerweile an Präzision gewonnen haben und durchaus gefährlich sind, so schwer tut er sich mit dem einfachen Passspiel. Seine Passquote von nur 72% in der zweitklassigen Championship untermauert diesen Makel. In der Premier League antizipieren die Gegner weitaus besser, was den Rookie zusätzlich vor Probleme stellen wird.
Das scheint auch dem ehemaligen Villa-Spieler bewusst zu sein, daher entscheidet er sich oft gegen ein Abspiel und sucht sein Glück im direkten Duell mit seinen Widersachern. Symptomatisch die Tatsache, dass Traore letzte Saison mehr Dribblings als erfolgreiche Pässe auf dem Konto hatte. Oftmals scannt dieser gar nicht seine Umgebung, hat nur den Ball und seinen Gegner im Visier und übersieht wiederkehrend gut positionierte Mitspieler. Seine Entscheidungswahl ist daher gleichermaßen ausbaufähig, da ein Abspiel, ab und an die bessere Option als ein Dribbling darstellt.
Der fehlende krönende Abschluss
Zudem besitzt das Kraftpaket nicht die Gabe, seine spektakulären Läufe mit Toren zu veredeln, denn sein Abschluss ist schlichtweg zu ineffektiv. Mit fünf Treffern hat er sich zwar zur Vorsaison (null Tore) verbessert, jedoch besteht gewiss noch eine Menge Luft nach oben, da seine Torversuche meist zu unpräzise oder nicht zwingend genug erscheinen.
Ein weiteres Defizit stellt seine Disziplin dar. Zu schnell lässt er sich von seinen Gegnern provozieren und sich zu einer Tätigkeit hinreißen. Zwei rote Karten kassierte er deshalb in der vergangenen Saison. Vor allem gegen den FC Sunderland verlor der Heißsporn jedwede Contenance, als er seinen Gegenspieler mit dem Ellbogen niederstreckte und sich anschließend noch mit einem Mannschaftskameraden befehdete und von mehreren Profis zurückgehalten werden musste. Ein Tabu im heutigen Fußballgeschäft. Überdies lässt auch sein Defensivverhalten Raum für taktische Disziplin, da er die Arbeit gegen den Ball zeitweise vernachlässigt oder nur halbherzig ausführt.
Prognose:
Abschließend gibt es trotz aller Kritik einen klaren Unterschied zwischen dem heutigen Traore und dem Traore, welcher bei Aston Villa und Middlesbrough ums nackte Überleben spielen musste. Er erscheint nun etwas reifer und stark genug, körperlich wie geistig, mit dem Druck der Premier League fertig zu werden. Er wird das Vertrauen von Wolves-Coach Nuno Espirito Santo genießen und einige Spiele in entscheidenden Momenten zu Gunsten der Wölfe beeinflussen.
Die Wolves haben diesen Sommer ein gutes Händchen auf dem Transfermarkt gezeigt und mit Diogo Jota (21), Ruben Neves (21) und Leander Dendoncker (23) einige vielversprechende Talente in ihren Reihen, was verdeutlicht, dass man eindeutig auf die Jugend vertraut und im Rahmen eines langfristigen Projekts auf deren Weiterentwicklung setzt.
Dies wird es ermöglichen, dass auch Adama befreit aufspielen kann und seinen Ruf als „Show-Pony“ endgültig ablegen dürfte und nun ebenso in der besten Liga der Welt seine Klasse nachweist.