Ein neuer Trainer, die Verpflichtung eines der größten italienischen Toptalente und das tragische Karriereende eines erst 23-jährigen Spielers – beim US Lecce ist in diesem Sommer einiges in Bewegung. Ein genauer Blick auf die Entwicklungen des Klubs aus Apulien. (Bild: IMAGO / IPA Sport)
Das Karriereende von Joan González
Mit 17 Jahren wechselte Joan González in die Jugendabteilung des großen FC Barcelona – La Masia. Dort durchlief der zentrale Mittelfeldspieler die U18- und U19-Teams und genoss eine herausragende fußballerische Ausbildung. Im Jahr 2021 sicherte sich der US Lecce das damals 19-jährige Talent und ließ ihn zunächst eine Saison in der U19 spielen. Nach 31 Einsätzen in der Primavera 1 – der höchsten italienischen Nachwuchsliga für U19/U20-Teams, in der die Jugendmannschaften der Profiklubs gegeneinander antreten – stand González bei acht Toren und drei Assists.
Zur Saison 2022/23 wurde er in die erste Mannschaft hochgezogen – und wurde direkt zum Stammspieler: 35 Serie-A-Partien absolvierte der damals 21-jährige in seiner ersten Profisaison und trug entscheidend zum Klassenerhalt bei. In der darauffolgenden Spielzeit kam González auf 29 Einsätze in Italiens höchster Spielklasse – rund 1.000 Spielminuten weniger als im Vorjahr. Grund dafür waren unter anderem der Trainerwechsel zu Roberto D’Aversa sowie die Verpflichtung weiterer zentraler Mittelfeldspieler, die die Konkurrenzsituation verschärften. Dennoch verbesserte der 1,90 Meter große González sein Spiel deutlich und zählte auf seiner Position in Bereichen wie schusserzeugenden Aktionen, erfolgreichen Dribblings und gewonnenen Kopfballduellen zu den besten der Liga.
In der vergangenen Saison jedoch kam González kein einziges Mal zum Einsatz – der Grund: Herzprobleme. Während der Vorbereitung im Sommer 2024 entdeckte Lecces medizinische Abteilung Unregelmäßigkeiten bei seinen Tests und ordnete weiterführende Untersuchungen an. Das Ergebnis: Ein Jahr Zwangspause, danach sollte entschieden werden, ob eine Rückkehr in den Profifußball möglich sei. Am Ende der abgelaufenen Spielzeit verkündete Klubpräsident Damiani jedoch das Karriereende des Spaniers. Er lobte das medizinische Team ausdrücklich – sie hätten González das Leben gerettet. Hätte man die Herzprobleme nicht erkannt, hätte es tragisch enden können.
González, heute 23 Jahre alt, studiert bereits Wirtschaftswissenschaften und wird laut Damiani „mit Sicherheit ein großartiger Business Manager werden“. Insgesamt bestritt er 66 Profispiele, davon 64 in der Serie A, sowie zwei Einsätze in der Coppa Italia. Dabei erzielte er zwei Tore und bereitete vier weitere vor.
Former La Masia midfielder Joan González has been forced to retire at the age of 23 at Lecce due to a rare heart condition.
— Barça Universal (@BarcaUniversal) June 26, 2025
With you, Joan! pic.twitter.com/UEHzSsniiJ
Der neue Mann an der Seitenlinie: Eusebio Di Francesco
Eusebio Di Francesco ist der neue Mann an der Seitenlinie in Lecce. Der 55-jährige trainierte von 2017 bis 2019 den AS Rom und erreichte in der Saison 2017/18 einen starken dritten Platz – die beste Ligaplatzierung des Hauptstadtklubs in den letzten acht Jahren. Dennoch trennte sich der Verein im März 2019 von Di Francesco, der drei Monate später bei Sampdoria Genua unterschrieb. Der Traditionsklub wollte nach Jahren im Tabellenmittelfeld der Serie A den Sprung in den Europapokal schaffen – Di Francesco sollte dieses Ziel verwirklichen. Doch das Projekt scheiterte krachend: Nach nur sieben Spieltagen und drei Punkten stand Sampdoria auf dem letzten Tabellenplatz – Di Francesco wurde entlassen. Ab diesem Zeitpunkt geriet seine Trainerkarriere ins Stocken.
Zehn Monate später übernahm er Cagliari, wurde jedoch nach 26 Spielen auf dem 18. Rang freigestellt. Auch sein nächstes Engagement bei Hellas Verona endete früh: Bereits nach dem dritten Spieltag der Saison 2021/22 – und drei Niederlagen – wurde er entlassen. Seine Traineraktie erreichte damit einen Tiefpunkt.
Doch die letzten beiden Stationen machten wieder Hoffnung: Im Sommer 2023 übernahm Di Francesco den Aufsteiger Frosinone – den Klub mit dem niedrigsten Kaderwert der Liga. Trotz begrenzter Mittel spielte Frosinone bis zum letzten Spieltag um den Klassenerhalt mit und stieg nur knapp ab – ein Punkt fehlte auf Rang 17. Di Francescos Punkteschnitt lag bei 1,05 – der höchste seit seiner Zeit bei der Roma.
Kurioserweise wiederholte sich dieses Szenario in der darauffolgenden Saison: Er übernahm den nächsten Aufsteiger, Venezia, erneut das nominell schwächste Team der Liga, und spielte wieder bis zum letzten Spieltag um den Klassenerhalt – wieder ohne Happy End. Trotz zweier Abstiege in Folge zeigte Di Francesco bei beiden Klubs ordentliche Leistungen und übertraf mit seinen Teams die Erwartungen.
Nun ist er in Lecce angekommen – dem Team mit dem fünftniedrigsten Kaderwert der Serie A. Das Ziel ist klar: der erneute Klassenerhalt – idealerweise, ohne bis zum Schluss zittern zu müssen. Seit dem Wiederaufstieg 2022 hat Lecce keine Saison besser als Rang 14 abgeschlossen.
🟡🔴 | 𝐁𝐞𝐧𝐯𝐞𝐧𝐮𝐭𝐨 𝐦𝐢𝐬𝐭𝐞𝐫 𝐄𝐮𝐬𝐞𝐛𝐢𝐨 𝐃𝐢 𝐅𝐫𝐚𝐧𝐜𝐞𝐬𝐜𝐨
— U.S. Lecce (@OfficialUSLecce) June 26, 2025
L'U.S. Lecce comunica che la conduzione tecnica della Prima Squadra è stata affidata a mister Eusebio Di Francesco.
🔗 | Il comunicato: https://t.co/PBt7lng0zC pic.twitter.com/I3N7jwQPQJ
Doch passt Di Francesco überhaupt zum Klub – und kann er die Ziele erreichen? Drei Begriffe beschreiben den Coach wohl am treffendsten: Flexibilität, Jugendförderung und Offensivfußball.
Di Francesco ist kein Dogmatiker, der stur an einer Formation festhält. Vielmehr richtet er sein Spielsystem nach den Stärken seines Kaders aus. Bei der Roma ließ er ein 4-3-3 spielen, bei Frosinone variierte er zwischen 4-2-3-1 und 3-4-2-1, in Venedig setzte er vor allem auf ein 3-5-2.
Als Jugendförderer genießt Di Francesco einen hervorragenden Ruf. Er war einer der wichtigsten Mentoren von Sassuolo-Legende Domenico Berardi. Als Di Francesco im Juni 2012 Sassuolo übernahm, holte er den damals 18-jährigen Berardi in die erste Mannschaft. Heute, mit 31 Jahren, hat Berardi 399 Pflichtspiele, 148 Tore und 108 Assists für Sassuolo vorzuweisen, wurde Europameister 2021 und gilt schon jetzt als die größte Ikone der Vereinsgeschichte.
Weitere Talente förderte Di Francesco bei der Roma:
Alisson Becker, später Weltklassetorwart in Liverpool, debütierte unter ihm. Lorenzo Pellegrini, heute Kapitän der Roma, spielte mit 22 Jahren eine Schlüsselrolle in Di Francescos Mittelfeld. Auch Patrik Schick bekam früh Vertrauen – mit 21 Jahren war er bereits fester Bestandteil des Kaders und galt als Edin Džekos Backup.
Auch bei kleineren Klubs förderte Di Francesco junge Talente entscheidend:
Bei Frosinone wurde Matías Soulé zum Shootingstar mit 14 Scorern – inzwischen wechselte er für über 25 Millionen Euro zur Roma.
Enzo Barrenechea, ebenfalls gefördert, spielt heute mit einem Marktwert von 10 Millionen Euro bei Benfica.
Auch Marco Brescianini entwickelte sich stark und wurde von Atalanta für 10 Millionen Euro verpflichtet.
Bei Venezia setzte Di Francesco auf junge Spieler wie Daniel Fila (22), Filip Stankovic (22), Mikael Egill Ellertsson (22) und Hans Nicolussi Caviglia (24) – alle wurden zu Leistungsträgern und steigerten ihren Marktwert erheblich.
Taktisch steht Di Francesco für einen offensiv ausgerichteten Fußball mit klarer vertikaler Ausrichtung. Seine Teams suchen den schnellen Weg in Richtung Tor. Frosinone erzielte in der Saison 2023/24 starke 44 Tore – Rang 12 in der Ligawertung, ein beachtlicher Wert für ein Abstiegsteam.
Unter ihm dürfte Lecce zudem deutlich höher pressen: Vorgänger Giampaolo war ein Vertreter der klassischen italienischen Defensivschule, dessen Team extrem tief stand. Di Francesco hingegen will den Ball früh zurückgewinnen, mit Kurzpässen schnell nach vorne tragen und konsequent abschließen.
Das könnte gut zum aktuellen Kader passen: Lecce ist defensiv stabil und unangenehm zu bespielen – gelingt es Di Francesco, diese Qualität zu erhalten und die Offensive zu beleben, könnte die Kombination aus Klub und Trainer sehr gut funktionieren.
Der Kader: Wer ging, wer kam bereits und weitere Baustellen?
Auf der Abgangsseite verzeichnet der Klub zunächst die Leih-Enden von Kevin Bonifazi, Marco Sala und Jesper Karlsson. Sowohl der Vertrag von Ante Rebić als auch der von Nicola Sansone wurde nicht verlängert – beide Spieler gehören somit nicht mehr dem Verein an. Daniel Samek wurde für 300.000 Euro an Artis Brünn verkauft, Pablo Rodríguez wechselte für 1,2 Millionen Euro zu Lech Posen, und Kapitän Federico Baschirotto schloss sich für drei Millionen Euro Aufsteiger Cremonese an.
Ausgegeben hat der Klub bislang nur Geld für drei Spieler – allesamt Verteidiger: Christ-Owen Kouassi (22 Jahre, Ablöse: 1 Million Euro), Corrie Ndaba (25 Jahre, 930.000 Euro) und Matías Pérez (20 Jahre, 525.000 Euro). Hinzu kommt ein echter Coup: Milan-Sturmtalent Francesco Camarda kommt für eine Saison ohne Kaufoption auf Leihbasis – ein überragender Deal. Vier Transfers, die bestens zu Di Francesco und seinem guten Draht zu jungen Spielern passen – insbesondere Camarda, der als eines der größten Talente Italiens gilt, könnte unter dem neuen Trainer aufblühen.
Außerdem kehren Youssef Maleh (nach Leihe bei Empoli) und Rémi Oudin (nach Leihe bei Sampdoria) in den Kader zurück.
Aktuell hat der Verein ein Transferplus von über zwei Millionen Euro erwirtschaftet und wird voraussichtlich noch auf dem Transfermarkt aktiv werden. Doch wo bestehen noch Baustellen im Kader?
Sollte Di Francesco auf eine Dreierkette setzen, würde es mindestens noch einen zusätzlichen Innenverteidiger benötigen – auch wenn ein solches System derzeit eher unwahrscheinlich erscheint. Dennoch täte dem Kader ein weiterer erfahrener Innenverteidiger gut, da der Altersdurchschnitt der aktuell vier vorhandenen Innenverteidiger bei nur 23 Jahren liegt – also sehr jung ist.
Zudem fehlt es an einem offensiven Mittelfeldspieler. Die wichtigste Personalie im Kader der Apulier bleibt jedoch Nikola Krstović – der Star des Teams. Mit elf Toren und fünf Assists in der vergangenen Saison hat sich der 25-jährige Montenegriner in den Fokus einiger größerer Vereine gespielt. Sollte Krstović den Klub noch verlassen, würde das Lecce wohl eine satte Ablösesumme einbringen – sein aktueller Marktwert liegt bei rund 15 Millionen Euro. Im Falle eines Abgangs müsste Lecce natürlich Ersatz finden und hätte gleichzeitig zusätzliches Budget, um den Kader weiter zu verstärken.
Love this goal yesterday from Francesco Camarda in Lecce’s training game.
— Raffaele (@ItalianoCalcio) July 24, 2025
Blows by the defenders, then muscles one off and finishes with the left. 😤
Kid is going to be special. 🇮🇹 ⚽️ 💫 pic.twitter.com/epULoFion3
Saison-Ausblick: Was ist drin für Lecce 25/26?
Lecce hat definitiv das Potenzial, in der kommenden Saison die Klasse zu halten. Mit Eusebio Di Francesco hat man einen Trainer gefunden, der sehr gut zum jungen Kader passt und insbesondere Spieler wie Francesco Camarda weiterentwickeln kann. Auch wenn Kapitän Baschirotto den Verein verlassen hat, konnte man auf dem Transfermarkt bereits aktiv werden und sich in der Defensive verstärken. Zudem könnte ein möglicher Verkauf von Stürmer Krstović für eine zweistellige Millionensumme dem Klub finanziell enorm zugutekommen.
Mit einer guten Harmonie zwischen Trainer und Mannschaft sowie einem spannenden Transferfenster, in dem man noch investieren könnte – nicht zu vergessen der Rekordverkauf von Patrick Dorgu im vergangenen Winter für 30 Millionen Euro an Manchester United – stehen die Zeichen vorsichtig auf Optimismus. Zwar plant der Verein zunächst, Schulden abzubauen und in die Infrastruktur des Vereinsgeländes zu investieren, doch mit potenziellen Krstović-Millionen wären auch Transfers im mittleren einstelligen Millionenbereich realistisch.
Sollte das gelingen, ist es durchaus vorstellbar, dass Lecce in der kommenden Saison mit dem Abstiegskampf wenig zu tun haben wird. Es bleibt also spannend, was sich auf dem Transfermarkt noch tut – denn davon hängt das endgültige Saisonziel maßgeblich ab.
🚨🔴 Patrick Dorgu to Manchester United, here we go! Verbal agreement in place with Lecce, documents to be checked in next 24h.
— Fabrizio Romano (@FabrizioRomano) January 28, 2025
Fee will be €30m plus €5m in add-ons not guaranteed.
Long term contract agreed days ago with the player…
…and first signing for Rúben Amorim. 🤝🏻 pic.twitter.com/YZkKX4YnHp