"The Academy of Football", steht es groß geschrieben neben dem Spielfeld des London Stadiums, dem Zuhause von West Ham United. Es soll an die zahlreichen goldenen Generationen der Hammers erinnern und steht mittlerweile stellvertretend für den Verein. Die Akademie des Fußballs. Eine arrogante Behauptung? Absolut. Aber ist es ungerechtfertigt? Historisch betrachtet nicht unbedingt. (Bild: IMAGO / Shutterstock)
Die Fans der Hammers sind auf diesen selbstgewählten Spitznamen besonders stolz. Die Verbundenheit zum Osten Londons und dessen Kultur ist riesig, weshalb die jungen Talente aus der eigenen Akademie immer besonders beliebt sind.
Angefangen hat alles in den frühen 1960er Jahren, als das berühmte Trio, bestehend aus Martin Peters, Geoff Hurst und Bobby Moore, aus der eigenen Jugend sich in die erste Mannschaft spielte. Im Jahr 1966 waren sie alle drei die Hauptakteure beim bisher einzigen WM-Erfolg der Engländer. Peters war Stammspieler und Vorlagengeber, Hurst erzielte im Finale gegen Deutschland einen Dreierpack und Bobby Moore war der Kapitän und einer der besten Spieler seiner Zeit. Fußball-Legende Pele nannte ihn den besten Verteidiger, gegen den er jemals gespielt hat.
Paying tribute to the brilliant, beloved Bobby Moore.
— West Ham United (@WestHam) February 25, 2023
Thirty years gone, never forgotten ❤️ pic.twitter.com/dkphatmKid
Englands Goldene Generation
In den späten 1990ern bis hin zu den frühen 2000er produzierten sie im Osten Londons die Talente wie am Fließband. Zahlreiche spätere Nationalspieler und Leistungsträger bei absoluten Spitzenklubs machten zu der Zeit ihre ersten Schritte im Upton Park. Der sportliche Erfolg blieb allerdings überraschenderweise aus und endete 2003 sogar im Abstieg in die zweite Liga. An der Qualität der Spieler hat es nicht gelegen, vielmehr hatte der Verein große finanzielle Probleme, die sich nach den vielen Abgängen ihrer hochtalentierten jungen Spieler etwas stabilisierten. Zu einem Zeitpunkt waren sogar sieben Spieler auf dem Spielfeld bei der englischen Nationalmannschaft, die aus der Jugend West Ham Uniteds stammen.
Glen Johnson
Der Rechtsverteidiger war einer der vielen Abgänge nach dem Abstieg im Jahre 2003, als Chelsea ihn für gerade einmal 6 Millionen verpflichtete. Im Laufe seiner Karriere spielte er noch für Portsmouth, Liverpool und Stoke und geht als einer der besten Spieler in seiner Position in der Premier League in die Geschichte ein. Zahlreiche Trophäen, über 50 Länderspiele und über 350 Premier League Einsätze lassen sich am Ende seiner Karriere aufweisen.
Top finishes from the full-back 🎯
— Liverpool FC (@LFC) June 26, 2024
Three classic Glen Johnson strikes 🔥 pic.twitter.com/r7fxLGUi4Z
Rio Ferdinand
Als er seinen Jugendklub mit nur 22 Jahren verließ, galt er schon als gestandener Nationalspieler und wurde zum teuersten Verteidiger Englands, als er für 26 Millionen zu Leeds wechselte. Zwei Jahre später ging es für fast die doppelte Ablöse zu Manchester United, wo er zur Legende wurde. Heute gilt er immer noch als einer der besten Verteidiger seiner Generation und kann zahlreiche Titel mit den Red Devils und 81 Länderspiele für England aufweisen.
Michael Carrick
Als einziger in dieser List trat er zumindest für eine Saison noch den Gang in die Zweitklassigkeit an, obwohl er auch im Sommer des Abstiegs Angebote aus der Premier League vorliegen hatte. Als der direkte Wiederaufstieg ausblieb, entschied er sich aber für den Abgang, ausgerechnet zum Erzrivalen Tottenham Hotspur, die sich seine Dienste lediglich vier Millionen kosten ließen. Nur zwei Jahre später wechselte er für knapp 30 Millionen zu Manchester United, wo er, wie auch Rio Ferdinand, zur Legende aufstieg. Ein sehr unterbewerteter Spieler, der sich mehr als 'nur' 34 Länderspiele für England verdient hätte. Heute ist er Cheftrainer beim Zweitligisten Middlesbrough.
They no longer make midfielders like Michael Carrick 😔.
— FERGE(Fan) (@UtdFerge) September 3, 2024
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Joe Cole
"Golden Boy" wurde er in England genannt, da hatte er kaum Einsätze für die Hammers. Der Hype war riesig und die West Ham-Fans liebten ihn. Er führte später die Mannschaft mit gerade einmal 21 Jahren als Kapitän aufs Feld und der ehemalige Trainer West Hams Harry Redknapp erzählte, wie kein geringer als Alex Ferguson sich bei jedem Aufeinandertreffen nach der Entwicklung von Joe Cole erkundigte. Er verließ seinen Jugendklub nach dem Abstieg und schloss sich dem FC Chelsea an für nur 10 Millionen. Mit den Blues, insbesondere unter José Mourinho, gewann er Titel um Titel und verdiente sich über 50 Nationalspiele. 2013 kehrte er dann nochmal zurück, war dort aber bereits über seinen Zenit hinaus. Er gilt als einer der talentiertesten Spieler, die England jemals produziert hat.
Frank Lampard
So langsam wird es absurd, wie viele hochklassige Talente zur gleichen Zeit aus der Akademie des Fußballs entstammten. Frank Lampard verließ den Verein aber zu weit weniger freundschaftlichen Umständen als seine Mitspieler in dieser Liste. Das Verhältnis zwischen Lampard und den West Ham-Fans ist auch heute noch angespannt. Der Grund: Eine krasse Fehleinschätzung der Anhänger, die dem jungen Lampard vorwarfen, er spiele nur, weil Harry Redknapp - sein Onkel - und Frank Lampard Senior - sein Vater - Chef- und Co-Trainer waren. Am bekanntesten ist er für seine Zeit beim FC Chelsea. An der Stamford Bridge konnte er fast alles gewinnen, was es zu gewinnen gab, und ist heute einer der größten Legenden des Vereins. 177 Tore in 611 Premier League Spielen als Mittelfeldspieler sprechen hierbei für sich.
Harry Redknapp responds to a fan who questioned his decision to put Frank Lampard into West Ham's 1st team. pic.twitter.com/TywqhXBMTD
— 90s Football (@90sfootball) December 14, 2017
Jermaine Defoe
Heute gilt er als einer der effektivsten Stürmer der Premier League Geschichte. Mit 163 Toren ist er auch in den Bestenlisten oben zu finden. Bei den West Ham-Fans war auch er sehr beliebt, bis er in Folge des Abstiegs seinen Abgang forcieren wollte und sogar die Hinrunde der darauffolgenden Saison sich weigerte eingesetzt zu werden. Im Winter erhielt er dann seinen Wunsch und wechselte ausgerechnet zum Rivalen nach Tottenham, wo er auch den Großteil seiner Karriere verbachte. Auch er kam über 50 Mal für die englische Nationalmannschaft zum Einsatz. Die großen Titel blieben ihm aber aus.
Die nächste Generationen
Seit der Generation um Ferdinand, Lampard und Co. ist es um die "Academy of Football" etwas ruhiger geworden. Nennenswert sind lediglich Mark Noble, jahrelanger Kapitän und Leistungsträger, und Declan Rice, der nach sechs Jahren in der ersten Mannschaft für über 100 Millionen zu Arsenal wechselte und mittlerweile zu den besten defensiven Mittelfeldspielern gehört. Im Laufe der Jahre konnten sich auch weitere Spieler zu durchschnittlichen Premier League Spielern entwickeln. Dazu gehören Ben Johnson, James Tomkins oder Anton Ferdinand.
Allerdings könnte die Akademie der Ost-Londoner einen Aufschwung erleben. Freddie Potts konnte bei seiner letzten Leihe bei Wycombe Wanderers in der dritten Liga überzeugen und hat diese Saison die Möglichkeit in der Championship bei Portsmouth bekommen. George Earthy gilt als riesiges Talent und der technisch begabte Zehner soll diese Saison bei Bristol City, ebenfalls in der Championship, Spielpraxis sammeln. Kaelan Casey und Lewis Orford sollen beim Verein bleiben und könnten notfalls in Pokalspielen zum Einsatz kommen. Oliver Scarles, Callum Marshall (an Huddersfield verliehen), Joshua Ajala, Daniel Rigge oder Gideon Kodua (an Wycombe verliehen) gelten außerdem noch als sehr talentiert.