Timo Werner – ein Name, der in deutschen Fußballkreisen stets Emotionen auslöst. Begeisterung über seine unwiderstehlichen Tiefenläufe, Frustration über vergebene Großchancen, und zuletzt auch ein bisschen Wehmut: Was ist bloß aus dem einstigen Leipzig-Helden geworden, der in der Bundesliga jahrelang Verteidiger reihenweise alt aussehen ließ?
Nun könnte für Werner ein neuer Abschnitt beginnen. Wie verschiedene Quellen berichten beschäftigt sich Borussia Mönchengladbach mit dem einstigen Nationalstürmer. Und obwohl ein Transfer aktuell noch an Werners üppigem Gehalt scheitert, scheint die Idee durchaus ernst gemeint. Doch was würde das bedeuten – für Werner, für Gladbach und für die Bundesliga? (Bild: HMB-Media)
Der tiefe Fall eines Hochbegabten
Geboren am 6. März 1996 in Stuttgart, debütierte Werner als Teenager für den VfB – früh, frech, furchtlos. Mit gerade einmal 17 Jahren erzielte er seine ersten Bundesliga-Tore, bevor er 2016 zu RB Leipzig wechselte. Dort wurde er zur Tor-Maschine: 36 Scorerpunkte in der Saison 2019/20 machten ihn zum gefragtesten deutschen Stürmer. Die Konsequenz: der Wechsel zu Chelsea. 53 Millionen Euro Ablösesumme. Premier League. Champions League. Große Bühne.
Doch aus dem großen Schritt wurde ein Stolpern. Trotz viel Spielzeit und Arbeitseifer blieb er in England oft unter seinen Möglichkeiten. Die Kritik: zu ineffizient, zu fahrig, nicht „kaltschnäuzig“ genug für die Insel. 2022 kehrte er nach Leipzig zurück – doch selbst in vertrauter Umgebung wurde er nie wieder der Alte. Zuletzt scheiterte auch eine Leihe zu Tottenham an mangelnder Konstanz. Lediglich drei Vorlagen in 18 Premier-League-Spielen sind weit entfernt von dem, was man sich in Nordlondon in der letzten Saison von ihm erhofft hat.
Nun steht er mit 29 Jahren an einem Scheideweg. Und Gladbach? Könnte zur letzten Chance auf eine echte Renaissance werden.
Was Timo Werner's move to Chelsea a mistake? pic.twitter.com/bZslRCf3lY
— DW Sports (@dw_sports) August 10, 2022
Ein Spieler zwischen Turbo, Trauma und Talent
Timo Werner ist – allen Kritikpunkten zum Trotz – ein außergewöhnlicher Spielertyp. Mit dem Ball am Fuß und freier Wiese vor sich ist er brandgefährlich. Kaum ein deutscher Spieler hat solch einen Antritt, solch eine Dynamik in die Tiefe. Wenn Werner startet, gibt es kaum einen Verteidiger, der mithalten kann.
Seine besten Spiele macht er, wenn er in der Tiefe angespielt wird, mit dem Gesicht zum Tor. Da wird er zum Phantom: taucht auf, schließt ab, jubelt. Doch genau darin liegt das Problem – denn allzu oft bleibt der Jubel aus. Denn Werner vergibt. Und vergibt. Und vergibt. Ein unzuverlässiger Vollstrecker, der seine starke Bewegung häufig selbst entwertet.
Psychologisch scheint das bei ihm Spuren hinterlassen zu haben. In den letzten Jahren wirkte er unsicher, fast gehemmt im Abschluss. Szenen, in denen er einst eiskalt vollendete, verpufften zunehmend. Ob Nerven, Technik oder Kopf – irgendetwas fehlt.
Dazu kommt ein limitiertes Kombinationsspiel. Werner ist kein Wandspieler, keiner für den engen Raum. Seine Ballverarbeitung unter Druck ist ausbaufähig, seine Entscheidungsfindung ebenfalls. Dennoch: seine Bewegungen ohne Ball sind weiterhin Weltklasse. Und das bleibt ein Kapital, das man nicht unterschätzen darf.
No Premier League player has missed more Big Chances in league and European competition this season than Timo Werner:
— Squawka (@Squawka) April 27, 2021
◎ 29 Big Chances
◉ 21 missed
◎ 8 scored
Another huge chance tonight. #UCL pic.twitter.com/ovzyM1kFdZ
Warum ausgerechnet Borussia Mönchengladbach?
Gladbach befindet sich im Umbau – das wissen die Fohlenfans nur zu gut. Nach Jahren des Stillstands, Umbruchs und Mittelmaß hat man sich unter Sportdirektor Roland Virkus und Trainer Gerardo Seoane auf eine neue Linie verständigt: jünger, hungriger, dynamischer.
Und genau hier wird es spannend. Denn obwohl Werner als 29-Jähriger nicht mehr ins klassische „Entwicklungsschema“ passt, bringt er dennoch etwas mit, das Gladbach fehlt: Tempo. Tiefe. Erfahrung. Im Gladbacher Offensivensemble könnte er als Antreiber wirken – oder zumindest als Ergänzung mit besonderem Profil.
Seoane lässt gerne mit einem flexiblen 4-2-3-1 spielen, in dem die Außenspieler viel Raum für Läufe in die Tiefe haben. Werner könnte hier auf dem linken Flügel agieren – in einer Rolle, die zumindest ein wenig an seine Leipziger Glanzzeit erinnert. Alternativ wäre er auch als zweite Spitze in einem 4-4-2 denkbar. Besonders interessant: Die Kombination mit einem physisch starken Stürmer wie Haris Tabaković, der Räume bindet, von denen Werner profitieren könnte.
Aber: All das setzt voraus, dass Werner sich auf das Gladbacher Projekt einlässt. Und das bedeutet vor allem eins: Gehaltsverzicht. Laut Medienberichten verdient der Stürmer aktuell rund zehn Millionen Euro pro Jahr – eine Summe, die bei Borussia komplett illusorisch ist. Selbst mit Boni und Handgeld würde ein realistisches Gladbach-Angebot wohl bei maximal drei Millionen Euro brutto liegen. Es bräuchte also eine klare Einsicht des Spielers: Ich will spielen. Nicht kassieren.
🚨EXCL: Borussia Mönchengladbach are interested in Leipzig attacker Timo Werner. No direct negotiations as of yet.
— transferlive (@transferlives) July 29, 2025
For this move to happen, Werner must take a pay cut of about two-thirds of his current salary.
Werner isn’t in Leipzig’s future plans.
More news 🔜… #RBL pic.twitter.com/PNoyIV5YVG
Risiko mit Turbo – Was Gladbach gewinnen (oder verlieren) kann
Ein fitter, fokussierter Timo Werner kann so manchen Bundesliga-Teams noch immer wehtun. Seine Laufwege, seine Tiefenstaffelung, seine Automatismen – all das ist auf Bundesliga-Niveau weiterhin wertvoll. Für eine Mannschaft, die auf Umschaltmomente setzt, ist er fast ideal. Vorausgesetzt, man schafft es, ihn richtig einzusetzen.
Gleichzeitig darf man keine Wunderdinge erwarten. Werner ist kein Spielmacher, kein Dribbler, kein Techniker. Er lebt vom Raum. Vom Timing. Von der Präzision seiner Mitspieler. Wenn das Zusammenspiel nicht funktioniert, läuft er ins Leere. Dann wird er zum Schattenläufer – viel unterwegs, aber ohne Output.
Mental ist er schwer einzuschätzen. Die letzten Jahre haben Spuren hinterlassen. Ein Neuanfang könnte helfen – oder ihn weiter verunsichern. Entscheidend wird sein, wie stark er sich dem neuen Umfeld anpassen kann. Ob er wirklich bereit ist, aus der Komfortzone zu treten. Und ob er den internen Konkurrenzkampf mit jüngeren, hungrigeren Spielern wie Shuto Machino oder Robin Hack nicht nur annimmt, sondern gewinnt.