Im Januar 2018 holte Borussia Dortmund einen jungen Innenverteidiger aus der Schweiz, den hier in Deutschland vermutlich nur die wenigsten auf dem Schirm hatten. Skepsis bezüglich der hohen Ablösesumme von rund 21,5 Millionen Euro machte sich breit, doch die Verantwortlichen in Dortmund strahlten stoische Ruhe aus. Zorc & Co. waren sich sehr sicher, einen Spieler mit Potenzial zur Weltklasse verpflichtet zu haben. Bei dieser kleinen Anekdote handelt es sich um den mittlerweile 23-jährige Manuel Obafemi Akanji. Doch alles der Reihe nach.
Geboren wurde der Rechtsfuß in der kleinen Gemeinde Wiesendangen, die zum Bezirk Winterthur und dem Kanton Zürich gehört. Dort wuchs Manuel in einer sehr sportbegeisterten Familie auf. Auch seine Schwester Sarah ist eine hervorragende Fußballerin und kickt in der zweiten Schweizer Liga in Winterthur. Sein aus Nigeria stammender Vater spielt bis heute noch hobbymäßig Fußball und scheint ihm die Leidenschaft für diesen Sport in die Wiege gelegt zu haben. Akanjis Mutter hingegen widmet sich mit voller Hingabe dem Tennissport, sie scheint dort ihr Glück gefunden zu haben.
Den Lebenstraum eines Fußballprofis hatte das BVB-Talent damals noch nicht, sondern spielte nebenbei noch gerne Tennis oder war in der Leichtathletik unterwegs. Erst mit seinem Wechsel vom Heimatklub FC Wiesendangen in die Jugend des FC Winterthur im Jahr 2007 hörte er mit letzterem endgültig auf. Doch selbst nach diesem Schritt glaubte er noch nicht an den Durchbruch und die damit verbundene Profikarriere. „Als Jugendlicher war ich ein durchschnittlicher Spieler. Ich hätte nie gedacht, dass ich mal eine Profikarriere einschlagen könnte. Ich habe nur für den Spaß gespielt", gestand Manuel heute über seine Jugendzeit.
Die nächsten Schritte
Im Alter von 17 Jahren legte der Roger Federer-Bewunderer dann von der Physis her deutlich zu, ein gehöriger Wachstumsschub geschah. Dadurch war er fortan in der Lage, körperlich besser mithalten zu können. Im Sommer 2014 hatte er es dann endlich geschafft. Manuel wurde in den Profikader des FC Winterthur aufgenommen und konnte sein Talent ziemlich schnell im Profibereich zeigen.
Es dauerte nicht gerade lange, bis der große FC Basel auf das Defensivtalent aufmerksam wurde. Letztendlich verpflichtete der Schweizer Top-Klub Akanji im Sommer 2015 für rund 700.000 Euro Ablösesumme. Gut investiertes Geld, was sich mittlerweile herausgestellt hat.
„Dass er viel Talent hat, erkannte man ziemlich schnell. Da war ich beileibe nicht der Einzige“, beteuerte der damalige Sportchef des FC Basel Georg Heitz. Auf die Frage, was den jungen Innenverteidiger so auszeichnet, offenbarte dieser: „Eine spezielle Dynamik. Er drischt die Bälle nicht einfach weg, sondern spielt sie gepflegt raus. Dazu ist er intelligent, hat ein gesundes Selbstbewusstsein, das frei von Überheblichkeit ist. Und einen bemerkenswerten Ehrgeiz.“
Höhen und Tiefen in Basel
Angekommen in Basel lebte er sich gut ein und freundete sich besonders mit dem heutigen Schalker Breel Embolo an. Die Verantwortlichen des „Eff cee bee“ erkannten ausgesprochen schnell, dass er das zweiterfolgreichste Team der Schweiz enorm aufwerten könne. Doch Anfang 2016 folgte dann auch schon der Schock. Diagnose Kreuzbandriss! Eine lange Pause würde anstehen. Was andere weit zurückgeworfen und vermutlich in ein mentales Loch geworfen hätte, machte ihm scheinbar nichts aus. Er ließ sich nicht stoppen und kehrte im Februar 2017 wie Phönix aus der Asche auf das Grüne zurück.
Treibstoff für seine Motivation war laut eigener Aussage die Tatsache, dass manche nicht an ihn glaubten. Sie bezweifelten, ob Akanji sich nochmal von diesem Rückschlag erholen könne und schrieben ihn weitestgehend ab. Jedoch wollte er seinen Kritikern unbedingt das Gegenteil beweisen, tätowierte sich zudem den Spruch „Prove them wrong“, was auf Deutsch „zeige ihnen, dass sie falsch liegen“ heißt.
Der 1,86 Meter-Hüne zeigte auf beeindruckende Art und Weise direkt wieder sein volles Leistungsvermögen auf dem Platz und so gewann er mit dem FC Basel zwei Mal die Schweizer Meisterschaft und einmal den nationalen Pokal. Jedoch wurde der Führung des Klubs irgendwann bewusst, den Schweizer Nationalspieler nicht mehr lange halten zu können. So wurde kurz darauf über das Interesse vom BVB berichtet, der auf der Suche nach einem neuen Innenverteidiger war.
Borussia Dortmund eine „Herzensentscheidung“
Auch andere Klubs wie beispielsweise der große FC Barcelona oder auch der FC Liverpool sollen ihn auf der Beobachtungsliste ganz weit oben stehen gehabt haben, doch den Zuschlag bekam im Januar 2018 der strauchelnde Top-Klub Borussia Dortmund. Man zahlte, wie bereits erwähnt, satte 21,5 Millionen Euro für den Nationalspieler, da man von dessen Fähigkeiten vollständig überzeugt war. Für Akanji selbst war der Wechsel nach Dortmund eine Herzensentscheidung, auch in den Gesprächen mit der Verantwortlichen des Bundesligisten fühlte er sich rundum wohl. „Manuel hat sich mit seinen Leistungen ins Visier mehrerer europäischer Top-Klubs gespielt. Er hat in der Nationalmannschaft und in der Champions League schon nachgewiesen, dass er auf höchstem europäischem Niveau spielen kann", frohlockte BVB-Sportdirektor Michael Zorc über den Neuzugang.
Sein Kumpel Embolo war von diesem Wechsel zum Erzrivalen natürlich in gewisser Weise nicht gerade angetan, er hätte ihn lieber bei den Königsblauen gesehen. „Ich bin froh, dass er endlich zeigen kann, was in ihm steckt. Für mich ist er einer der besten Innenverteidiger in der Schweiz und einer der besten seines Jahrgangs. Am liebsten würde ich ihn zu Schalke holen“, gestand der Gelsenkirchener einst.
Auf seinen ersten Einsatz in der Bundesliga musste er zunächst noch warten, doch gegen den damaligen Bundesligisten Hamburger SV war es dann soweit. Akanji spielte von Beginn an, bot eine außerordentliche Performance und wurde dafür von allen Seiten gelobt. Herausragend war vor allem seine Passquote, die bei exzellenten 92 Prozent lag.
Warum der Schweizer, dessen Lieblingsverein Manchester United ist, als Prototyp des modernen Innenverteidigers gilt, wollen wir Euch nun genauer erläutern.
Stärken:
Akanji besitzt zunächst einmal mentale Stärke und ein Selbstvertrauen, welches so wohl nicht jeder im unbarmherzigen Profibereich an den Tag legt. Vor allem zeigt er dies auch deutlich nach außen hin und sagte in einem Interview: „Ich möchte nicht arrogant klingen, aber ich habe einfach Vertrauen in meine Fähigkeiten." Für ihn ist dieses Vertrauen in die eigenen Qualitäten elementar, weil er dadurch den notwendigen Gleichmut auf dem Platz erlangt, welcher seinen nächsten großen Vorzug darstellt. Der Defensivspieler ist nämlich äußerst druckresistent und gerät so gut wie nie aus der Fassung, er agiert einfach wie ein Profipokerspieler absolut unbeeindruckt und zwar unabhängig vom Gegner oder der Situation.
Der Alptraum eines jeden Angreifers
Doch wie macht sich der gebürtige Neftenbacher in der Paradedisziplin für einen Verteidiger, den Zweikämpfen? Ganz einfach, er führt sie absolut kompromisslos und lässt dem Gegner ebenso durch seine ausgeprägte Physis nicht den Hauch einer Chance. Dabei zeigt der Dortmunder keinerlei Scheu vor großen Namen und schafft es teilweise sogar, seinen Kontrahenten über die komplette Distanz vollkommen aus dem Spiel zu nehmen.
Ab und an schafft natürlich auch er es nicht direkt in den Zweikampf und der gegnerische Spieler scheint ihm zunächst ein wenig zu entkommen, doch die Rechnung machen dann viele ohne den Schweizer. Abgehängt hat man ihn so schnell nämlich nicht. Durch seine für einen Verteidiger untypisch hohe Geschwindigkeit und seine ebenso respektable Reaktionsschnelligkeit gelingt es ihm im Gegensatz zu anderen Verteidigern auch dann noch, die Angreifer einzuholen und die Situation mit einem gekonnt getimten Tackling zu bereinigen.
So gehörte Akanji beim FC Basel schon zu den schnellsten Akteuren und auch beim BVB ist er mit einer gemessenen Geschwindigkeit von 35 Stundenkilometern einer der schnellsten Spieler. Insgesamt gewann er in der aktuellen Saison bislang überragende 61,5 Prozent seiner Zweikämpfe. Dass Fouls bei ihm eine absolute Rarität sind und er seine Duelle in der Regel immer fair führt, ist besonders bemerkenswert.
Darüber hinaus hat der defensive Abräumer die Gabe, wiederkehrend direkte Duelle zu vermeiden. Durch seine ausgereifte Antizipation schafft er es, sich frühzeitig klug zu positionieren, um den Ball anschließend gekonnt abzufangen und dann den eigenen Ballbesitz zu sichern. Durch dieses kluge Stellungsspiel konnte er bislang im Schnitt 7,07 Bälle pro Partie klären, was der viertbeste Wert in der gesamten Liga ist.
Enorme Vorzüge im Spielaufbau
Doch er verfügt nicht nur über ein brillantes Defensivverhalten, sondern ist obendrein noch ausgezeichnet im eigenen Spielaufbau. Besonders das ist eine Fähigkeit, die neben starkem Zweikampfverhalten und Schnelligkeit von einem modernen Innenverteidiger gefordert wird. Dabei überzeugt er mit einem ausgesprochen sicheren und vor allem noch dazu unaufgeregten Kurzpassspiel, welches meistens den gewünschten Adressaten findet.
Nebenbei bemerkt hat er qualitativ hochwertige technische Fähigkeiten auf Lager und verfügt zudem noch über eine ausgeprägte Übersicht, durch die er jederzeit die beste Anspieloption ausfindig machen kann.
Dank seiner Beidfüßigkeit spielt es dabei auch keine allzu große Rolle, auf welchem Fuß der Ball gerade liegt, ankommen wird der Pass mit hoher Wahrscheinlichkeit. Teilweise schafft er gar, mit intelligenten Pässen ganze Verteidigungslinien aus dem Spiel zu nehmen und so dem Angriff unfassbare Geschwindigkeit zu verleihen. Grundsätzlich versucht er, die Spielsituationen spielerisch zu lösen, was er gleichermaßen selbst bestätigt. „Heute ist wichtig, der Mannschaft auch im Spielaufbau zu helfen. Das entspricht meinen Neigungen: Ich habe sehr gerne den Ball und versuche, nicht den langen Ball zu schlagen, sondern kontrolliert nach vorn zu spielen", so der Schweizer.
Abgesehen von seinen persönlichen Neigungen, schlägt er ebenso die langen Bälle ausnehmend präzise zu seinen Mitspielern, was seine Passquote mit bewundernswerten 89,2 Prozent unterstreicht.
Schwächen:
Bei ihm signifikante Defizite festzustellen, ist quasi nicht möglich. Lediglich zwei Sachen hat Akanji in der Vergangenheit selbst angesprochen, die er damals beabsichtigte zu verbessern. Zum einen ist dies sein Kopfballspiel, sowohl offensiv als auch defensiv. Denn in diesem fehlte ihm teilweise noch die nötige Durchsetzungskraft. Doch diese Schwäche hat er mittlerweile bereits abgelegt und sich in diesem Bereich deutlich gesteigert. So gewann er in dieser Saison bislang ganze 62,5% seiner Luftduelle.
Zum anderen hat er bei sich noch taktische Mängel im Defensivverhalten ausgemacht. Dafür hat Manuel nun mit seinem Landsmann Lucien Favre genau den richtigen Trainer, denn sein Landsmann gilt als ausgemachter Fachmann in taktischen Angelegenheiten und arbeitet sehr akribisch.
Prognose:
Schon der ehemalige Borussen-Coach Peter Stöger fand ausschließlich lobende Worte für den 23-Jährigen, wie auch Neu-Trainer Lucien Favre. Dieser hält außerordentlich viel von Akanji, weswegen er unter diesem auch unumstrittener Stamm- und Führungsspieler ist.
Seine Entwicklung ist dabei stets als positiv zu erachten und man merkt, dass er sich immer weiter steigern und seine Fähigkeiten perfektionieren kann, denn Schwächen besitzt er keine signifikanten mehr.
Interesse von Top-Klubs eine Frage der Zeit
Trotz seiner überzeugenden Entwicklung gibt es derzeit keine Gerüchte bezüglich Interesses von größeren Klubs. Dies wird sich aber sehr wahrscheinlich schnell ändern, wenn er weiterhin in diesem Maße abliefert.
Nun steht für ihn allerdings erstmal seine erste vollständige Saison in einer großen europäischen Liga an, weswegen wir gespannt seine Darbietungen im Fokus behalten werden. Mit Favre hat er ebenso mit großer Wahrscheinlichkeit den richtigen Trainer an seiner Seite, um in bestimmten Bereichen wie den taktischen Dingen noch einen weiteren Schritt nach vorne machen zu können.
Abschließend können wir feststellen, dass Akanji viele Eigenschaften mitbringt, die bei den ganz großen Klubs überaus gefragt sind. Außerdem stellt er bereits jetzt eine waschechte Herausforderung für so gut wie jeden Angreifer dar, denn so schnell kommt man an ihm nicht vorbei. Wir sehen bei ihm weiterhin Potenzial nach oben und denken, dass er in die Riege der Weltklasseverteidiger aufsteigen kann.
Dann wird er jedoch vermutlich auch bei einem größeren Verein unterkommen, alles andere wäre auch untypisch für den ambitionierten Eidgenossen. Doch bis dahin wird der bodenständige Akanji erstmal weiterhin beim BVB die Fans ins Schwärmen bringen.