Es war einmal das Jahr 1960 auf dem Trainingsgelände von Inter Mailand. Es war die Zeit von „la grande Inter“ mit Trainer-Legende Helenio Herrera, welcher als Erfinder des„Catenaccio“ gilt und für sein enorm erfolgreiches Spielsystem noch nach einem Linksverteidiger suchte.
Niemand Geringeres als Giuseppe Meazza, einer der weltbesten Stürmer der dreißiger Jahre, hatte dem argentinischen Übungsleiter, einen gerade mal 18-jährigen großgewachsenen Stürmer vermittelt, der diese Rolle erfüllen konnte. Facchetti überzeugte seinen neuen Mentor. Dieser schulte ihn rasch um, so dass der Sohn eines Eisenbahners nur ein Jahr später sein Serie A-Debüt feiern konnte.
Mäßiges Debüt, Herrera voll des Lobes
Trotz eines mäßigen Auftritts prophezeite ihm sein Coach eine aussichtsreiche Zukunft. „Der Junge wird mal eine fundamentale Säule dieses Vereins.“ Herrera sollte Recht behalten. Zusammen mit Namen wie Burgnich, Suarez, Mazzola, Domenghini, Jair oder Picchi bildete Facchetti "la grande Inter" unter Angelo Moratti, Vater des aktuellen Klubeigners Massimo:
Vier Scudetti, zwei Europapokale der Landesmeister, zwei Weltpokale. 634 Partien für die Nerazzurri, 75 Tore. Als Kapitän par excellence galt er auch in der Squadra Azzurra, für die er in 94 Spielen 70 Mal als Kapitän auflief. 1968 war er entscheidend am EM-Sieg beteiligt.
Inters Linksverteidiger beeindruckte trotz seiner imposanten 1,91 Meter durch herausragende Sprintqualitäten, erledigte nicht nur sehr erfolgreich seine defensiven Aufgaben, sondern interpretierte seine Rolle dank seiner Schnelligkeit und Technik ungemein offensiv.
Das war für die damalige Zeit ein absolutes Novum, weshalb man den in Treviglio geborenen Italiener als Prototyp des modernen Außenverteidigers bezeichnen könnte. Sein starkes Umschaltspiel wurde zu seinem Markenzeichen. Denn unmittelbar nachdem er sich elegant in der Defensive den Ball erkämpft hatte, startete er im Stile Milans Theo Hernandez wie ein nicht aufzuhaltender Schnellzug den Konterangriff.
"Seine Flanken waren wie ein Tor"
Er war Flügelverteidiger und Außenstürmer zugleich und versorgte die Offensivkräfte wie Sandro Mazzola und Jair da Costa mit präzisen Hereingaben. "Für einen Mittelstürmer war Facchetti wie Manna. Seine Flanken waren oft wie ein Tor", beschrieb ihn Teamkollege Roberto Boninsegna.
Gab es keine Anspielstationen, dann suchte er eben selbst den Abschluss und das ziemlich erfolgreich, was seine 75 erzielten Tore sicherlich bezeugen. Sein persönlicher Höhepunkt war neben den zahlreichen Mannschaftserfolgen mit „la grande Inter“ und der „Squadra Azzurra“, sicherlich der Titel des zweitbesten Fußballer Europas. Nach dem zweifachen Gewinn des Weltpokals 1964 und 1965 musste er sich einzig der portugiesischen Legende Eusebio bei der Wahl geschlagen geben.
Doch Facchetti galt als fairer Sportsmann und nahm seinen Preis mit Demut an. Aber nicht nur außerhalb des Platzes stand er für Respekt, Loyalität und Fairness. „Eins ist klar: Schauspielerei habe ich immer verachtet. Das gehört nicht zum Fußball, denn der Grundgedanke des Fußballs ist Reinheit und Fairness."
"So wie damals Beckenbauer, der trotz Armverletzung mit einer Schlinge weiterspielte. Davor habe ich immer den Hut gezogen“, entgegnete Facchetti angesprochen auf die Schauspielerei-Vorwürfe der deutschen Medien nach dem legendären 4:3-Sieg im Halbfinale der WM 1970.
Facchetti erfindet sich neu
Ab Mitte der siebziger Jahre nagte auch der Stein der Zeit an Facchettis Athletik, doch dieser erfand sich ähnlich wie Paolo Maldini als Innenverteidiger neu, nur dass er anders als Milans Nummer drei, die Position als Libero ausfüllte. Denn Herreras Catenaccio benötigte hinter der Dreier-Abwehrkette noch einen freien Verteidiger. Jedoch interpretierte Inters Capitano seine Rolle im Gegensatz zu Beckenbauer, Scirea oder Baresi rein defensiv.
Im Alter von 36 Jahren beendete Giacinto Facchetti dann seine aktive Spielerkarriere und verließ nach 18 Jahren für die „Nerazzurri“ das heilige Grün. Auch nach dem Karriereende blieb er den Lombarden treu und wechselte ins Management. Ebenso in dieser neuen Aufgabe erlangte er höchste Weihen. Am 13. November 2001 wurde er zum Vizepräsidenten gewählt, bevor er am 19. Januar 2004 zum 19. Präsidenten des Vereins ernannt wurde.
Einer der letzten Gentlemen
Doch nur zwei Jahre später, erlag er einer langen schweren Krankheit. Viele Menschen begleiteten Facchettis Sarg und sein guter Freund Massimo Moratti veröffentlichte einen sehr persönlichen Brief. Aus Anerkennung gegenüber Facchettis Lebenswerk und Loyalität, beschloss die Vereinsführung seine Rückennummer "3" nicht mehr zu vergeben.
Mit dem „gutmütigen Riesen“, wie man Facchetti liebevoll nannte, verließ einer der letzten Gentlemen den „Calcio“. Humor, Integrität, Freund der Arbeiter, Familienmensch, Kind des Nordens - Selbst nach seinem Scheiden erntete Inters Legende nur Lob, Respekt und Anerkennung aus allen Teilen der Welt.