Seit dem 1. September dieses Jahres istder AC Florenz ungeschlagen. Zwar belegt die Truppe von Trainer Vincenzo Montella „nur“ den neunten Rang, hat jedoch mit dem SSCNeapel, Juventus Turin, AC Mailand, Atalanta Bergamo vier der letztjährigen Top-5-Teams der höchsten italienischen Spielklasse herausfordern müssen. Gerade gegen den italienischen Rekordmeister zeigte sich die „Viola“ mehr als ebenbürtig und machte Lust auf mehr.
Die Lobpreisungen bekamen jedoch hauptsächlich Spieler wie Ribery, Chiesa oder aber Youngster Castrovilli ab, obwohl ein Mann vor der Abwehr unauffällig sämtliche erfolgreiche Spielzüge initiierte. Die Rede ist von Erick Pulgar! Der 25-jährige Chilene gilt als einer der unterschätzesten tiefliegenden Spielmacher der Serie A, da er trotz seiner exzellenten Entwicklung immer noch nicht unter dem Radar der Topclubs weilt.
Diawara in der Pole
Geboren und aufgewachsen im nordchilenischen Antofagasta, debütierte der defensive Mittelfeldmann 2011 bei ortsansäßigen Club Deportes, als sich der Verein noch in der zweiten Liga befand. Dort spielte der Jungspund bis Juni 2014, ehe er sich in den Diensten des Erstligisten Universidad Católica stellte. Nur eine Saison später registrierten Scouts des FC Bologna die herausragenden Leistungen des Talents und nahmen ihn im Sommer 2015 unter Vertrag.
Der damalige Trainer der „Bolognesi“ Delio Rossi, setzte auf Anhieb auf den Neuankömmling und trieb mit einem Platz in der Startelf dessen Entwicklung weiter voran. Doch dann verlor der Coach nach nur zehn Spieltagen aufgrund ausbleibenden Erfolgs seinen Job an Roberto Donadoni. Der ehemalige Milan-Akteur setzte sein Vertrauen auf das damalige Ausnahmetalent Amadou Diawara (heute: AS Rom) und sorgte dafür, dass Pulgar nur noch auf 13 Einsätze in der ganzen Saison kam.
Mihajlovic pusht Pulgar zum Durchbruch
Doch der junge Chilene ließ sich mental nicht verunsichern und arbeitete weiter hart an sich. Nachdem Diawara im Sommer 2016 nach Neapel wechselte, entstand im Mittelfeld natürlich eine Vakanz, welche sich Pulgar natürlich nicht entgehen ließ, wenngleich er wegen Adam Nagy zunächst einmal im linken Mittelfeld des Trios auflaufen musste. Das Wichtigste war jedoch, dass Pulgar seine Spielzeit bekam um zu wachsen.
Bis zur Saison 2018 gehörte der Schlaks meist zur Startelf und verbesserte sich dabei kontinuierlich. Doch sein Club stürzte unter Trainer Filippo Inzaghi mitten in den Abstiegskampf. Das ganze Team performte mehr schlecht als recht. Es war ein starker Mann mit Erfahrung und einer Menge Sozialkompetenz gefragt und die Wahl fiel nach der Entlassung Inzaghis auf Sinisa Mihajlovic. Im Nachhinein betrachtet ein absoluter Glücksfall für Verein, Fans und Spieler, darunter natürlich auch Pulgar.
Der serbische Trainer sorgte nicht nurdafür, dass die „Rossoblu“ dem Abstieg entkamen, sondern auch das der Südamerikaner einen immensen Entwicklungsschub vollzog. Pulgar implementierte seinem Spiel mehr Gelassenheit und Feingefühl und demonstrierte in Mihas' 4-2-3-1-System als tiefliegender Spielmacher neben Kapitän Blerim Dzemaili, dass er als „Regista“ ein Spiel lenken und leiten kann.
Nur 10 Millionen Ablöse
Vor allem seine sechs Standard-Tore im letzten Saisondrittel, wenngleich sie aus elf Metern erzielt wurden, sicherten Mihajlovics Truppe den verdienten Klassenerhalt. Dass Pulgar zum absoluten Ausnahmespieler avancierte, blieb dem AC Florenz im Gegensatz zu den Topclubs nicht verborgen. Die „Viola“ sicherte sich diesen Sommer die Dienste des Sechsers für gerade mal zehn Millionen Euro. Angesichts des Fähigkeitenprofil Pulgars ein wahres Schnäppchen, was sich gleichermaßen an dessen Leistungen im ersten Saisondrittel widerspiegelt.
Wie eben schon angedeutet, steht Pulgar sinnbildlich als das Gehirn der Mannschaft. Zahlreiche Angriffe der Fiorentina werden über ihn aufgebaut, jedoch besitzt er trotz seiner häufigen Aktionen eine geringe Fehlerquote. Ganz im Gegenteil. Mit 30 tödlichen Pässen verweist er Topspieler wie Pjanic (9) oder Brozovic (10) mehr als deutlich in die Schranken.
Ein brachialer Pirlo?
Besonders auffällig sind seine zahlreiche hohen Pässe, egal ob dieser das Spiel nur verlagern möchte, oder einen vertikalen Ball in die Spitze schlägt, seine Pässe kommen ungewöhnlich oft an den Mann. Durch seine Spielintelligenz, schnelle Auffassungsgabe und Übersicht, würde man ihn am liebsten in die Schublade des klassischen Kreativspielers a lá Pirlo stecken, jedoch täuscht man sich da gewaltig.
Denn der chilenische Nationalspieler wurde in der Jugend als Innenverteidiger ausgebildet und besitzt heute noch diesen brachialen Aspekt in seinem Spiel. Vor allem, wenn der 1,87-Meter-Hüne mit einem aggressiven Tackling ordentlich dazwischen langt, ist meist Feierabend für den Gegenspieler, was 65 Prozent gewonnene Tacklings untermauern. Durch seine Ausbildung als Innenverteidiger ist er nicht nur flexibel einsetzbar, sondern antizipiert die Spielzüge des Gegners gleichermaßen beeindruckend.
Zudem zeichnet ihn seine vorbildliche Mentalität aus. Denn der Viola-Akteur geht nicht nur mit einer immensen Leidenschaft in den Zweikampf, sondern verfügt darüber hinaus eine Nervenstärke die seinesgleichen sucht. Mit neun verwandelten Strafstößen in Folge, demonstrierte dieser nicht nur, dass er keine Nerven besitzt, sondern dass er absolute Leaderqualitäten in sich vereint.
Signifikante Schwächen? - Fehlanzeige!
Defizite wird man bei ihm nur bei genauerem Beobachten erkennen. Denn der großgewachsene Spielmacher fehlt auf den ersten Metern das Tempo und findet gerade gegen quirlige Spieler nur schwer in den Zweikampf. Bei schnellen Passstaffetten wie beispielweise diese Saison gegen den SSC Neapel, kam er oft den einen berühmten Schritt zu spät, auch wenn er den Pass schon vorahnte.
Darüber hinaus gewann er diese saison lediglich 33 Prozent seiner Luftduelle, was angesichts seiner ordentlichen Größe ausbaufähig scheint. Doch dies sind Kritikpunkte auf hohem Niveau und sollte daher nicht als signifikant bewertet werden. Alles in allem scheint Pulgar nur noch einen Schritt von einem Topclub entfernt zu sein. Sollte er seine Leistungen diese Saison konstant bestätigen, dann wird im Sommer die Elite Europas Schlange stehen.