Stell dir vor, du hast dein erstes Match für deinen neuen Club und spielst dermaßen bescheiden, dass du von sämtlichen relevanten überregionalen Tageszeitungen in Italien zum schlechtesten Spieler der Partie deklariert wirst! Es gibt gewiss schönere Starts bei einem neuen Verein als den, den das damalige Juventus-Talent Rolando Mandragora beim ehemaligen süditalienischen Erstligisten FC Crotone erlebte.
Zugegebenermaßen sollte auch die zahlenmäßige Unterlegenheit thematisiert werden, da die Kalabresen gegen die Millionentruppe des AC Milan schon ab der achten Spielminute, aufgrund einer roten Karte für Innenverteidiger Ceccherini, in Unterzahl gerieten. Doch getreu dem Motto „wenn du auf dem Boden liegst, kann es nur noch bergauf gehen“, schaffte es der junge Italiener die Leistungen seit seiner katastrophalen Performance gegen die „Rossoneri“ dermaßen zu steigern, dass er aktuell zu den besten U23-Spielern der Serie A gehört.
Liverani der richtige Förderer
Betrachtet man die bisherige Karriere des gebürtigen Neapolitaners, dann ist es keine Überraschung, dass sich der Mittelfeldmann von Rückschlägen nicht aus der Fassung bringen lässt. Bereits in der Jugend, fiel er bei einigen Serie-A-Clubs im Sichtungstraining durch, da man ihn als zu klein empfand. Der „kleine“ Junge gab jedoch nicht auf und wurde schließlich vom FC Genua verpflichtet und misst mittlerweile 1,83 Meter.
Bei den Liguriern geriet er in die Obhut vom damaligen Jugendcoach Fabio Liverani (heute Cheftrainer von US Lecce), der nicht nur an der mentalen Stärke des Teenagers feilte, sondern ihm ebenso das körperbetonte Spiel vermittelte. Mandragora saugte alles was ihm vom früheren Palermo-Akteur vermittelt wurde auf wie ein Staubsauger. Seine konstant überragenden Leistungen blieben dem damaligen Coach der ersten Mannschaft Gianpiero Gasperini, heutiger Atalanta-Trainer, nicht verborgen und so nahm er ihn zu den Profis auf.
Serie A-Debüt gegen die alte Dame
Am 29. Oktober 2014 war es endlich soweit und Mandragora feierte im Alter von nur 17 Jahren und vier Monaten sein Serie A-Debüt gegen keinen Geringeren als den italienischen Rekordmeister Juventus Turin! Das Magische an diesem Spiel war die Tatsache, dass der Jungspund es hauptsächlich mit dem damaligen Wunderkind Paul Pogba zu tun bekam.
Kurioserweise machte der Edeltechniker seine Sache mehr als gut und schaltete den Franzosen nahezu aus. Der Star der alten Dame machte keinen Stich und die Zuschauer im Stadio Luigi Ferrari durften nach 90 Minuten einen 1:0 Sieg ihres Teams bejubeln. Genuas Eigengewächs wurde nach dem Spiel wenig überraschend mit Lobeshymnen geradezu überschüttet:
„Ich empfand Mandragoras Leistung als richtig stark und ich gebe niemanden die Chance der es nicht wirklich verdient hat“, lobte Gasperini in der anschließenden Pressekonferenz. „Er ist gerade mal 17 Jahre alt, aber hat jetzt schon eine sehr professionelle Einstellung. Ich brauchte einen Spieler mit seinen Eigenschaften und er bewältigte dieses große Spiel mit einer absoluten Gelassenheit.“
Nach dem Hoch folgt ein Tief
So beeindruckend dieses Spiel für Mandragora war, desto enttäuschender war der restliche Saisonverlauf für das Talent. Er kam kaum noch zum Zug und musste sich hinter dem damaligen kongenialen Duo Andrea Bertolacci und Stefano Sturaro anstellen. Beide zentralen Mittelfeldspieler waren in der Form ihres Lebens und eine Nummer zu groß für den erst 17- Jährigen.
Genua lieh ihn anschließend in die Serie B zu Delfino Pescara aus, damit er dort mehr Einsatzzeit bekommt. Er machte den nächsten Schritt bei den „Delfinen“ und spielte eine außerordentliche Saison, welche am Ende sogar mit dem Serie A-Aufstieg gekrönt wurde.
Ebenso verfeinerte er sein Spiel und lernte auch unter Druck die Ruhe zu bewahren. Seine Darbietungen in Italiens zweiter Liga riefen vor allem die Juve-Scouts auf den Plan. Nach der Saison war es dann soweit und die „Bianconeri“ verpflichteten das Talent für stolze sechs Millionen Euro Ablöse.
Da Juventus ihn weiterhin zu Pescara, ab der Saison 2017/18 zum FC Crotone auslieh, und ihn letzten Sommer an Udinese verkaufte, konnte der 1,83-Meter-Mann seit fast drei Jahren konstant Serie A-Luft schnuppern und einen weiteren entscheidenden Schritt in seiner Entwicklung machen.
Stärken:
In seiner Zeit beim FC Crotone nahm Mandragora in Walter Zengas 4-3-3-System die Rolle des zentralen Sechsers ein. Seine taktische Affinität ermöglicht es ihm die Räume effektiv zuzulaufen und als Bindeglied zwischen Defensive und Offensive zu fungieren. Man konnte ihn also als den „Dirigenten“ des FC Crotone bezeichnen, der den Takt des Spiels vorgibt. Diese Rolle war und ist ihm wie auf den Leib geschneidert.
„Ich bin ein Mittelfeldspieler, der es mag oft den Ball zu haben. Ich besitze eine gute Technik, kann aber auch defensive Aufgaben erfüllen. Ich versuche immer 100 Prozent für das Team zu geben“,so Mandragora über seine Rolle.
Blitzschnell in die Spitze
Eine von Mandragoras größten Vorzügen sind ohne Zweifel sein sauberes und präzises Passspiel. Egal ob kurz oder lang, direkt oder verzögert, er spielt sie konstant auf einem hohen Niveau. Gefürchtet sind vor allem seine direkten Pässe aus der Tiefe in die Spitze, denn er erkennt blitzschnell Lücken in der Abwehr des Gegners und das auch über weite Distanzen.
Das bekam auch Sampdoria Genua in der vorletzten Saison zu spüren, als Mandragora mit einem direkt genommenen Steilpass aus der eigenen Hälfte Stürmer Nwankwo steil schickte und so das 4:1 für die Süditaliener einleitete. Diese Übersicht, kombiniert mit einer enormen Spielintelligenz und einer hervorragenden Technik, machen ihn zu einem exzellenten Aufbauspieler.
Der Abfangjäger
Obendrein besitzt er die Gabe beeindruckend oft die Spielzüge des Gegners zu lesen. In 36 Serie A Partien fing er 2017/18 wie ein Abfangjäger unfassbare 86 Pässe des Gegners ab und münzte sie in eigenen Ballbesitz um! Kein Serie-A-Mittelfeldspieler schaffte mehr als Crotones „Regista“! Selbst Weltklasse-Sechser N‘Golo Kanté vom FC Chelsea musste sich auf seinem Fachgebiet mit 85 antizipierten Pässen geschlagen geben.
Darüber hinaus besitzt er ein sehr reifes Stellungsspiel und weiß ganz genau wie er sich bei gegnerischen Ballbesitz zu platzieren hat. Doch auch in direkten Zweikämpfen ist Mandragora unheimlich gereift. Besonders körperlich hat er gelernt sich durchzusetzen. Selbst der bullige Belgier Radja Naingolan musste körperlich alles in die Waagschale werfen, um sich Italiens Juniorennationalspieler vom Hals zu halten.
Diese physische Stabilität half ihm diese Saison für Udinese knapp 55 Prozent seiner Zweikämpfe für sich zu entscheiden. Während er vor paar Jahren noch dafür kritisiert wurde, unter Druck zu schnell nervös zu werden und den Ball zu schnell abzuschenken, hat er sich nun angeeignet, auch unter starkem Pressing des Gegners die Ruhe zu bewahren.
Schwächen:
Zwar besitzt Mandragora keinerlei signifikanter Schwächen, jedoch nutzt er seinen rechten Fuß sehr selten. Daraus resultierend sind seine Pässe etwas limitiert, wenn er vom Gegner so angelaufen wird, dass er sich den Ball auf den schwachen Fuß legen muss. Darüber hinaus fehlt ihm noch die Dominanz und Konstanz eines echten Spielgestalters, da er zu häufig Phasen im Spiel besitzt in denen er völlig untertaucht und sich lediglich auf seine Defensivaufgaben beschränkt.
Udinese Calcio verpflichtete den mittlerweile 22-jährigen Neu-Nationalspieler vor der Saison für stolze 20 Millionen Euro von Juventus. Zwar konnte sich der Neuzugang als Stammspieler etablieren, und mit 34 tödlichen Pässen in 25 Partien offensiv eine Schippe drauflegen, doch lässt seine Konstanz weiterhin zu wünschen übrig. Gerade gegen die Protagonisten der Serie A setzte der Rohdiamant nur wenig spielerische Akzente.
Prognose:
Der Vergleich der italienischen Gazzetten mit Andrea Pirlo kann getrost als unpassend bewertet werden, da sich der Weltmeister von 2006 über seine spielerischen Skills definierte, während sich Mandragora eher mit einem außerordentlichen Defensivverhalten das Spiel seiner Mannschaft aufwertet und somit vom Spielertyp eher Ex-PSG-Sechser Thiago Motta ähnelt.
Talentierte junge Spieler gibt es wie Sand am Meer, doch macht die Disziplin eines Talents meist den Unterschied. Udines‘ Zwanzig-Millionen-Talent gilt in der Szene als sehr disziplinierter Vorzeigeathlet. Taktisch wie auch aus menschlicher Sicht besitzt er den perfekten Nährboden für eine außerordentliche Karriere.
„Tifosi“ auf der ganzen Welt sollten diesen jungen Mann im Auge behalten, denn sie werden ihn gewiss in paar Jahren als Protagonist auf internationaler Ebene wiedersehen. Denn ein Rolando Mandragora hat schon oftmals bewiesen, dass er sich von nichts und niemanden zurückwerfen lässt und seinen Weg ehern verfolgt.