Kenan Yildiz jubelte, denn er hatte soeben ein unglaubliches Comeback mit zwei späten Toren für Juventus gemeistert. Für Inter war es vermeidbar, und die Tifosi auf den Rängen waren dementsprechend enttäuscht. Denn es war nicht das erste Mal in dieser Saison. Doch was ist los mit dem amtierenden italienischen Meister? (Bild: IMAGO / Gonzales Photo)
Als die Spieler in den Mittelkreis zurückkehrten, schauten die meisten von ihnen auf den Boden wie Fünfjährige, die ins Bett gehen sollten, weil sie sich nicht benommen haben. Nach einer 4:2-Führung im Derby D'Italia kassierten die Nerazzurri zwei späte Tore – untypisch für das routinierte Team des amtierenden italienischen Meister der seiner Form aus der Vorsaison hinterherläuft. Das Problem für Simone Inzaghi ist, dass dies nicht das erste Mal ist, dass seine Mannschaft nach einer Führung den Fokus verliert.
Statt die individuellen Fehler in diesem Spiel zu analysieren, sollten wir über den Tellerrand hinausschauen. In der letzten Saison kassierten die Nerazzurri 22 Gegentore in 38 Spielen, eine mehr als beachtliche Leistung. In dieser Saison haben sie bereits 13 Gegentore kassiert. Das ist eine Frage, die schnell beantwortet werden muss. Dass es sich um Müdigkeit aus der letzten Saison handelt, scheint nicht die Universalantwort auf diese Frage zu sein.
Cabal possesses the vision and technical ability to play the deep ball, - an element that perhaps has been missing at Juventus since Bonucci left the club.
— Morten Bering (@morten_bering) October 28, 2024
The Inter players are on the edge of the box and Cabal still manages to find McKennie in the tight space behind them 👏🏻⚫️⚪️ pic.twitter.com/42Uo2UeB4s
Fünftschlechteste Mannschaft nach Gegentoren
Die Statistik ist, wenn man sie auspackt, ernüchternder als man denkt. Das Stadio Giuseppe Meazza war und ist eine stimmungsvolle und einschüchternde Heimstätte für die Gegner der Nerazzurri, und dennoch haben in dieser Saison nur Parma, Cagliari, Lecce, Genua und Verona zu Hause mehr Tore kassiert.
Für Inzaghi ist das erschreckend, zumal die meisten dieser Tore vermeidbar waren. Vielleicht war das erste Spiel der Saison gegen Genua richtungsweisend, als Yann Sommer beim 2:2-Unentschieden einen eklatanten Fehler beging, als er die Flugbahn des Balls nicht richtig einschätzte und der Ball an die Latte prallte, was die Mannschaft ein Tor kostete.
Dies setzte sich auch im Spiel gegen Juventus Turin fort, als die Außenverteidiger zu weit nach vorne gingen. Auch dies war ein häufiger Faktor, da die Außenverteidiger in dieser Saison anders verteidigen. Anstatt die Angreifer wie in der letzten Saison auf die Außenbahnen zu drängen, haben sie sich dafür entschieden, sie im Zentrum nur passiv zu stellen, bis sie fast am Strafraum sind. Doch warum ist das so?
Es gibt eine gewisse Unkonzentriertheit, das ist sicher, vor allem in den späten Phasen der Spiele. Von den 13 Gegentoren, die Inter kassiert hat, fielen sechs in der ersten Halbzeit, aber noch schockierender ist, dass die sieben Gegentore in der zweiten Halbzeit alle nach der 70. Minute fielen. Woran liegt es, dass man Spiele nicht zu Ende spielen kann? Müdigkeit? Unwahrscheinlich.
Wird Inzaghi ausgecoached?
Inzaghi hat den Kader so oft wie möglich rotieren lassen, da Inter über eine große Kadertiefe verfügt. Vielleicht ist das das Problem? Ist die Tiefe des Kaders nicht gut genug? Auch das ist unwahrscheinlich, wie die letzte Saison gezeigt hat. Zu der Enttäuschung und dem Dilemma kommt noch hinzu, dass von den sieben Toren vier von gegnerischen Auswechselspielern erzielt wurden, was darauf hindeutet, dass die gegnerischen Trainer diese Schwächen erkannt haben.
Wenn man Inters Offensive beobachtet, dann fällt auf, dass man sich auch dort nicht auf dem Niveau der Meistersaison befindet. Das ist es vielleicht, was Inzaghi zusätzlich frustriert, denn während Marcus Thuram eine unglaubliche Saison spielt, ist Lautaro Martinez nicht auf der Höhe und hat auch im Giuseppe Meazza eine längere Durststrecke hinter sich.
⚽️🇦🇷 Lautaro Martínez is the highest scoring foreign player in Inter's history with 134 goals! pic.twitter.com/HSBUgWiHnx
— Italian Football TV (@IFTVofficial) October 30, 2024
L. Martinez mit Heimkomplex?
Seit dem 28. Februar, also seit neun Spielen, hat er in der Serie A zu Hause kein Tor mehr erzielt, was für seine Verhältnisse extrem schlecht ist. Nach seiner Rückkehr aus dem Sommer wirkte er träge und nicht mehr so fokussiert wie früher, aber das liegt nicht nur an ihm. Inter hätte gegen Juventus mehr als vier Tore schießen müssen!
Denzel Dumfries war nicht der einzige, der eine große Chance vergab, und das setzt sich vom Spiel gegen die Young Boys bis nach Genua fort. Inter hat in den meisten Spielen über weite Strecken gut gespielt, aber Phasen wie in der ersten Hälfte des Derby Della Madonnina haben sie teuer zu stehen gekommen.
Inzaghi sagte: „Als Trainer ist man verbittert; ich muss analysieren und morgen mit den Spielern sprechen.“ Er bestätigte die Frustration über die Defensivleistung, sagte aber auch, dass er auf den positiven Aspekten aufbauen müsse.
Es gibt einige, das ist sicher. Inter kämpft, wie schon gegen Roma, Young Boys und Juventus - die Einstellung scheint nicht das Problem zu sein. Konzentration? Vielleicht. Vielleicht hat die Mannschaft den absoluten Hunger auf den Scudetto verloren und das sind die wenigen Prozente die am Ende eine Partie entscheiden.
Like a hot knife through butter 🧈 #InterMilan #SempreMilan pic.twitter.com/f1R1NgfSA3
— AC Milan (@acmilan) September 23, 2024
Zu wenig Konkurrenzkampf?
Darüber hinaus hatte die halbe Inter-Stammelf im Sommer die Europameisterschaft in den Knochen und wirkte dort schon nicht fit – weder geistig noch körperlich. Ein weiterer Punkt könnte die fehlende Konkurrenz im Kader sein. Qualität und Tiefe sind auf jeden Fall da, allerdings setzt Inzaghi in den großen Partien meist auf die Meisterelf – die etablierten Kräfte wissen trotz Rotation, dass sie die erste Geige spielen und in den wichtigen Partien in der Startformation stehen.
Daher könnte es sein, dass viele Akteure zu selbstsicher in Bezug auf ihren Status sind und dann der absolute Wille und Fokus verloren geht. Alles nur Theorien – am Ende ist es jeder einzelne Spieler von Inter der morgens in den Spiegel schauen muss und sich hinterfragen sollte, welche Teilschuld er an dieser Minikrise besitzt.
Empoli wurde zu null geschlagen, eine Truppe die durchaus Offensivpotenzial besitzt und den ein oder anderen "Großen" schon ärgern konnte. Darauf gilt es jetzt aufzubauen - die richtigen Prüfsteine stehen mit Arsenal, Napoli, RB Salzburg und der Fiorentina schon bereit. Diese Spiele sind der Indikator, ob Inter seine Defensivprobleme wirklich schon behoben hat...