Auch wenn Bayer Leverkusen am 22. Spieltag gegen Bayern München nicht gewinnen konnte, dominierten die Gastgeber den Tabellenführer über 90 Minuten. Daher wollen wir die taktische Leistung von Meistertrainer Xabi Alonso für euch genauer unter die Lupe nehmen. (Bild: IMAGO / osnapix)
Beide Mannschaften traten in einer 4-4-2-Formation an, die in bestimmten Situationen in ein 4-2-3-1 umgewandelt wurde, wobei Bayer Leverkusens Florian Wirtz und Bayern Münchens Jamal Musiala die Rolle des zweiten Stürmers bzw. Spielmachers übernahmen. Alonso wählte einen extrem aggressiven Ansatz, um das Spiel der Bayern direkt zu unterbinden: Wenn die Münchner den Ball hatten, presste Leverkusen über das gesamte Spielfeld von Mann zu Mann.
Leverkusens defensives Mittelfeldduo Granit Xhaka und Exequiel Palacios rückte hoch auf, um ihre Bayern-Kollegen Joshua Kimmich und Aleksandar Pavlović zu decken. Musiala, der wie üblich meist auf der linken Seite spielte, wurde permanent von Innenverteidiger Jonathan Tah verfolgt.
Bayerns „falsche Neun“-Taktik ausgehebelt
Um dem hohen Leverkusener Eins-gegen-Eins-Pressing im Aufbauspiel entgegenzuwirken, ließen sich die Bayern vor allem von Musiala immer wieder tief in die Rolle der „falschen Neun“ fallen, um eine zusätzliche Passoption zu bilden und mit den Innenverteidigern Doppelpässe zu spielen. Doch Tah ließ sich nicht beirren; der Verteidiger drängte Musiala bis in den Bayern-Strafraum und verhinderte so eine zahlenmäßige Unterlegenheit Leverkusens im Mittelfeld.
Als Bayern merkte, dass Musiala allein keine Chancen kreierte, ließ sich auch Stürmer Harry Kane immer wieder ins Zentrum zurückfallen. Mit zwei „falschen Neunern“ hatte Leverkusen ein echtes Problem: Wenn Edmond Tapsoba, der zweite Innenverteidiger, ebenfalls aufrückte, war das Abwehrzentrum der Gastgeber offenbart. Leverkusen spielte zunächst weiter aggressiv: Tapsoba folgte dem Beispiel von Tah, dahinter verteidigten die beiden Außenverteidiger Piero Hincapié und Nordi Mukiele als Außenverteidiger - und auch in der Mitte hatten sie wenig Mühe, die Bayern-Flügelspieler Michael Olise und Kingsley Coman zu decken.
Die Bayern versuchten zu selten, sich mit langen Pässen, zum Beispiel von Torhüter Manuel Neuer, zu befreien, und ließen viel Raum zwischen ihren schnellen Flügelspielern und den Leverkusener Außenverteidigern. Um die Gefahr etwas einzudämmen, änderte Alonso im Laufe des Spiels seine Herangehensweise: Wenn es möglich war, ließ sich Alejandro Grimaldo, der auf dem linken Flügel spielte, in die Mitte zurückfallen, um Kane zu markieren, und sicherte so den Raum hinter einem defensiven Mittelfeldpaar, das ziemlich hoch aufgerückt war.
In dieser neuen Konstellation kam das Eins-gegen-Eins-Verhalten wieder zum Tragen, und jeder Leverkusener Spieler verteidigte individuell stark. Dass es den Bayern aber nur selten gelang, den frei gewordenen Rechtsverteidiger Konrad Laimer zu finden oder das körperlich sehr einseitige Duell zwischen Kane und Grimaldo auszunutzen, lag auch an der mangelnden Klarheit im Spiel der Bayern.
Wirtz. pic.twitter.com/dXsLUZUy7s
— Bayer 04 Leverkusen (@bayer04_en) February 17, 2025
Alonsos 2-2-1-5 durchbricht das 4-4-2 der Bayern
Während die Bayern bis zur 73. Minute brauchten, um ihren ersten Torschuss zu generieren - eine geblockte Halbchance von Kane -, kreierte Leverkusen von Anfang an klare Chancen und hatte Pech, einige davon nicht zu nutzen. Sechzehn Schüsse und 2,23 erwartete Tore (im Vergleich zu Bayerns zwei Schüssen und 0,14 xG) sprechen eindeutig für ein Spiel, das zugunsten der Werkself ausging.
Auf dem Papier spielten die Bayern ebenfalls in einer 4-4-2-Formation und betrieben ein intensives Mann-gegen-Mann-Pressing. Dennoch lief es für Leverkusen besser - wie also hat Alonso das geschafft? Im Gegensatz zu den Bayern, die selten lange Bälle riskierten, war Leverkusen von Anfang an bereit, hohe Bälle zu spielen, um das Münchner Pressing im Notfall zu überwinden. Der entscheidende Unterschied war, dass Alonsos taktische Entscheidungen fast überall auf dem Spielfeld zu ungleichen Spielverläufen führten.
Um dies zu erreichen, baute Leverkusen sein Spiel in einer 2-2-1-5-Formation auf. In diesem System schoben die beiden Außenverteidiger extrem weit nach vorne und Wirtz ließ sich als Nummer 10 in die Mitte zurückfallen. Das Ergebnis: Auf jedem Flügel bildete sich eine Paarung zwischen einem Leverkusener Innenverteidiger und einem schnellen Außenverteidiger.
Diese Duos wurden von einem schnellen Bayern-Flügelstürmer, der natürlich etwas Kraft gegen den von ihm gedeckten Flügelverteidiger opferte, und einem Außenverteidiger verteidigt. Dabei ist zu beachten, dass Leverkusen mit Grimaldo gegen Laimer und Jeremie Frimpong gegen Hiroki Ito jeweils den Geschwindigkeitsvorteil hatte.
Wirtz - Leverkusens Schlüssel
Nun ergab sich ein großes Problem für die Bayern: Entweder rückte einer der Innenverteidiger mit Wirtz auf die Position der Nummer 10 auf, wodurch eine Fünf-gegen-Fünf-Abwehrreihe mit vielen Fehlpässen entstand - oder der schnelle und wendige Nathan Tella, der von Alonso als Mittelstürmer eingesetzt wurde, bereitete den Bayern-Innenverteidigung Dayot Upamecano und Minjae Kim Probleme. Auch das Trio Wirtz, Palacios und Xhaka versuchte, miteinander zu kombinieren und die beiden defensiven Mittelfeldspieler der Bayern zu überwältigen.
In den meisten Fällen entschlossen sich die Bayern, ihr eigenes Mann-gegen-Mann-Pressing beizubehalten. Das bedeutete, dass Upamecano oft die Abwehrreihe verließ und Wirtz, der sich ins Mittelfeld fallen ließ, deckte. Obwohl der Leverkusener Spielmacher nicht immer für einen Pass zur Verfügung stand, schuf er durch seine Bewegungen dennoch entscheidende Räume. Leverkusen war durchaus bereit, lange Bälle zu schlagen - schließlich hatten sie überall auf dem Spielfeld günstige Tempogegenstöße kreiert. Immer wieder schippte Torhüter Lukáš Hrádecký den Ball zwischen Upamecano und Kim hindurch, Tella ließ sich fallen, um den Ball anzunehmen oder ihn an Wirtz oder die Flügelduos abzulegen, die dann einen schnellen Angriff einleiten konnten.
Auch Leverkusen spielte immer wieder lange Bälle auf die Flügel. Denn Hincapié und Mukiele waren bestens geeignet, um gegen die weniger robusten Olise und Coman die Luftduelle zu gewinnen und dann ihre Flügelkollegen ins Spiel zu bringen. War der Ball erst einmal am Bayern-Pressing vorbei, ging es meist sehr schnell, mit Kombinationen über die Flügel oder über den emsigen Wirtz, der bei hohem Tempo einfach nicht zu stoppen war.
Bayer Leverkusen have battered Bayern here. God knows how it’s still 0-0. pic.twitter.com/WJvG0Y4Nix
— 𝗕𝗹𝘂𝗲𝗰𝗵𝗶𝗽𝗹𝗳𝗰.𝗲𝘁𝗵 🆇 ₿ (@BlueChipLFC) February 15, 2025
Unvermögen im Abschluss
So einfach dieses taktische Modell auch klingt, so schwierig war es umzusetzen. Bayern verteidigte in der Regel gut im Strafraum und vor allem ein sehr starker Upamecano fing immer wieder Pässe ab, fing Tella ab oder gewann Zweikämpfe, bevor es gefährlich wurde. Dennoch hatte Leverkusen vier große Chancen, um in Führung zu gehen.
Ein Beispiel gefällig? In der 21. Minute begann Leverkusen nach einem Eckball, das Spiel sehr hoch aufzubauen. Die 2:2-Formation hinten (mit Mukiele etwas tiefer) brachte Hincapié auf der linken Seite in eine Position, in der er sich fallen lassen und Tapsoba anspielen konnte. Hinter Olise löste sich Grimaldo von Laimer und wurde in die Tiefe geschickt, und obwohl Upamecano nicht herausgerückt war, um Wirtz zu decken, gab es für den deutschen Spielmacher kein Halten mehr.
Grimaldo schickte ihn in den Strafraum, wo er aus spitzem Winkel abzog, aber an Manuel Neuer scheiterte. Der Ball prallte in die Mitte zurück, wo Frimpong sich geschickt positionierte und einen Kopfball an die Latte donnerte, wobei der Torwart deutlich geschlagen war.
Etwa vier Minuten später war es ein hoher Ball von Tapsoba auf Tella, der für Gefahr sorgte. Obwohl dieser das Luftduell, diesmal mit Upamecano (Kim war zu Wirtz aufgerückt), nicht gewinnen konnte, landete der Ball bei Pavlović, der - noch bewacht von Xhaka als Manndecker - den Ball nicht gegen seinen Gegenspieler halten konnte.
Der Schweizer eroberte den Ball zurück und startete einen schnellen Gegenangriff über die linke Seite. Tella sprintete schneller in den Strafraum als die Bayern-Abwehr und traf völlig unbedrängt mit einem Volleyschuss die Latte.
Eine Meisterleistung ohne Belohnung
In der zweiten Halbzeit konnte Leverkusen nicht mehr so effektiv nach vorne spielen wie in der ersten, da die Bayern weiterhin ihr hohes Pressing zugunsten der Defensivarbeit aufgaben. Bayern stand stabil in einem etwas tieferen Block und ließ kaum ein Durchkommen zu.
Viele kleine Durchbrüche von Leverkusen brachten kaum nennenswerte Gefahr, zumindest bis zur ersten Minute der Nachspielzeit, als Wirtz eine Riesenchance vergab. Taktisch gesehen hat sich Kompany Alonso unterworfen, da sein Plan A nicht aufging und dieser nur reaktiv und passiv zu helfen wusste, obwohl die Bayern eigentlich das Spiel dominieren wollen.
Bayern der Sieger
Hätte Wirtz getroffen, wäre das ein würdiger Abschluss einer taktischen Schlacht gewesen, in der Alonso Kompany klar überlegen war. In der für die Leverkusener typischen Art und Weise wären sie wie letzte Saison spät mit 1:0 in Führung gegangen und die Bayern hätten kaum reagieren können - und das Titelrennen wäre wieder völlig offen gewesen.
„Wir haben gemischte Gefühle“, gab Alonso nach dem Spiel zu. „Wir haben gegen Bayern unser bestes Spiel in diesem Jahr gemacht und vielleicht auch im letzten Jahr. Ich muss meiner Mannschaft ein großes Kompliment machen. Wir sind mit dem Ergebnis nicht ganz zufrieden, aber so ist der Fußball.“
So bleibt es zwar eine taktische Meisterleistung von Xabi Alonso, aber im Titelrennen hat es nichts gebracht. Rein ergebnistechnisch gehen die Bayern als Sieger aus der Partie hervor, da sie mit dem Unentschieden Leverkusen weiterhin mit acht Punkten Vorsprung auf Abstand gehalten haben.