Nach all den Höhen und Tiefen aus den letzten Jahren hat sich Union Berlin nun wieder gefangen. Zwar erscheinen die berauschenden Champions-League-Nächte nur noch wie ein Echo der Vergangenheit, Vergangenheit war allerdings in der nun abgelaufenen Saison auch früh jegliche Angst um den Abstieg. Auch mit Steffen Baumgart scheint man nun endlich wieder einen Trainer gefunden zu haben, der zur Spielphilosophie von Union Berlin passt und dessen Ansprache bei den Spielern zündet. Ebenso hat man sich mit dem Schotten Oliver Burke von Werder Bremen bereits eine durchaus interessante Verstärkung im Sturm geholt.
Doch reicht das aus, um das Team aus der alten Försterei wieder dauerhaft vom Bundesliga-Abstiegskampf fern zu halten? Und könnte das Sommertransferfenster 2025 dafür sorgen, dass in der Saison 2025/26 auch wieder höhere Ziele eine Rolle spielen könnten? (Bild: IMAGO / Contrast)
Wie im Film-Casting: Union Berlins einzigartige Transferphilosophie
Bis zum überragenden wie überraschenden Champions-League-Einzug in der Saison 2022/23 war die Transferstrategie von Union Berlin in der 1. Bundesliga nach dem Aufstieg 2019 in Deutschland, wenn nicht sogar in ganz Europa, einzigartig. Weder sah man sich als reiner Verkäuferclub, der vorwiegend im Ausland nach unbekannten jungen Talenten scoutet, nur um sie ein paar Jahre später wieder teuer zu verkaufen, noch bediente man sich der üblichen Transfer-Schemata vieler Bundesligisten, nämlich entweder schwächeren Bundesliga-Konkurrenten oder ambitionierten Zweitligamannschaften nach der Saison die besten Spieler weg zu kaufen.
Bei Union Berlin spielten vielmehr oftmals die Spieler im Transfergeschehen eine Rolle, die bei anderen Clubs, mal wegen Verletzungspech, mal aufgrund von Miss-Matchs mit ihren Trainern, außen vor waren. Prominentestes Beispiel ist hier Robin Knoche, der zwar neun Jahre lang beim VFL Wolfsburg spielte, dort aber aufgrund der vielen Trainerwechsel immer mehr auf der Bank versauerte. Kein anderer Bundesligist hatte ihn mehr auf dem Zettel, bei Union Berlin hingegen bemerkte man sofort, dass er als bulliger Abwehrchef perfekt zum defensiven Stil gegen den Ball der Köpenicker passte und verpflichtete ihn.
Die Folge war: Innerhalb weniger Monate wurde Robin Knoche zu der Führungsfigur im Spiel der Eisernen und unter Trainer Urs Fischer der entscheidende Mann beim Einzug in die Champions League. Diese Liste an Union-Spielern, die bei anderen Clubs zum Zeitpunkt ihrer Transfers bei ihren vorherigen Vereinen unter dem Radar liefen, bei Union Berlin dann aber plötzlich ihren zweiten Frühling erlebten, könnte man nahezu endlos fortführen.
Robin Knoche wechselt zu Union Berlin. Der 28-Jährige kommt vom VfL Wolfsburg, wo sein Vertrag ausgelaufen war!#SkyTransfer #TransferUpdate pic.twitter.com/GLhIRlQmf3
— Sky Sport (@SkySportDE) August 4, 2020
Warum Union Berlin dieses glückliche Händchen hatte, obwohl weder auf junge Talente noch auf Spieler geschaut war, die grade auf ihrem Piek waren? Über allem stand hier der einzigartige Defensivstil von Urs Fischer, der die Eisernen jahrelang europäisch spielen ließ und zur Nr.1-Überraschungsmannschaft der Bundesliga machte. Man könnte sogar sagen, die Spieler wurden sogar regelrecht auf ihre Rollen gecasted, ähnlich wie Schauspieler für einen Film bei dem Urs Fischer Drehbuchautor und Regisseur zu gleich war. Dadurch entstand der einzigartige Effekt, dass bei den Spielern innerhalb kürzester Zeit die Identifikation mit dem Verein weder durch regionale Verbundenheit kam, noch durch Titel und Trophäen (oder exorbitante Gehaltsschecks), sondern durch das eigene innere (Wieder-)Aufblühen als Sportler. Die Spieler fingen in der alten Försterei wieder an, an sich zu glauben und die Fans dankten es ihnen mit ihrem Support.
Und sollte sich dieser Effekt mal abnutzen? Dann wurde, wie in einer neuen Staffel einer Netflixserie, eben ein Großteil des Kaders wieder ausgetauscht und neue „Rollen“ für den Urs-Fischer-Stil gesucht. Eine Strategie, die endlos fortsetzbar schien, was die Europa-Qualifikationen Jahr für Jahr bewiesen.
Erst mit dem Champions-League-Einzug änderte der Verein dann plötzlich seine gesamte Strategie, was bei einigen Fans (inklusive dem Autor des Artikels) für große Verwunderung sorgte. Ganz entgegen dem Motto „Never change a winning team“ wurde auf einmal auf Glamour und große Namen gesetzt. Mit neuer Starpower wollte man im Olympiastadion gegen Teams wie Real Madrid und dem SSC Neapel antreten. Zwar nannte man sich noch nicht „Big City Club“, wie ein gewisser anderer Verein aus der Hauptstadt, einige Parallelen zum Hertha-Downfall gab es aber durchaus. Spieler, wie der italienische Weltmeister Leonardo Bonucci, wie auch der deutsche Nationalspieler Robin Gosens wurden geholt. Selbst der ehemalige Real-Madrid-Young-Star Isco stand kurz vor einem Transfer in die alte Försterei, so dass manche Fans schon witzelten, welcher Name denn als nächstes im Fokus der neuen Glamour-Eisernen stehen würde: Neymar? Paul Pogba?
News #Isco: He has just landed in Berlin a few seconds ago 🛬 Medical tomorrow as revealed. Contract until 2024 + 1 … Isco and Union Berlin, it’s happening! Been told that he really wanted to join #FCUnion! @L_deRuiter @SkySportDE 🇵🇹 pic.twitter.com/Zw9BZISFAn
— Florian Plettenberg (@Plettigoal) January 30, 2023
Die Folge war eine ähnliche wie bei der Hertha unter Lars Windhorst: Sämtliche Transfers floppten, die Eisernen gewannen in der Champions League kein einziges Spiel und Spieler, wie der von Leeds United ausgeliehene Brendan Aaronson zeigten plötzlich Starallüren, wie dem Trainer den Handschlag zu verweigern. Kurzum: Von der mannschaftlichen Geschlossenenheit bei Union Berlin war nichts mehr zu sehen und nur in letzter Not entkam dem Abstieg in die 2. Liga. Und, was für den Verein noch schlimmer war, man trennte sich von dem Architekten der goldenen Union-Jahre Urs Fischer: Der absolute Supergau.
Der #fcunion und Trainer Urs #Fischer gehen getrennte Wege! 💥 pic.twitter.com/BGgisNK6nn
— Transfermarkt (@Transfermarkt) November 15, 2023
Erst in der zweiten Hälfte der Saison 2024/25 fand man unter dem ehemaligen Kölner Erfolgstrainer Steffen Baumgart, dem man in der Winterpause verpflichtete, mit zuletzt acht ungeschlagenen Ligaspielen in Serie wieder zu mehr Stabilität.
Wie aber wird Union aus seinen Fehlern bei den kommenden Transfers lernen? Wird man sich komplett wieder auf seine alte Transferstrategie besinnen? Denn immerhin ist man durch die vielen Jahre als europäisch spielender Verein zumindest wirtschaftlich erstarkt und längst nicht mehr „das Armenhaus der Bundesliga.“ Zudem ist es auch das erste Transferfenster gemeinsam mit Steffen Baumgart. Wie also die nächsten Jahre angehen?