Vor etwa einem Jahr habe ich hier die Frage aufgeworfen: Bekommt Deutschland ein Torwartproblem? Das damalige Fazit: Wir haben bereits eines. Nicht personell, genug Talent ist in den Mannschaften und den Akademien definitiv vorhanden, sondern strukturell. Es ist an den Vereinen, die Kette zu durchbrechen und ihren jungen Torhütern das Vertrauen zu schenken. Heute, nur 15 Monate später, zeichnet sich eine positive Entwicklung ab.
Schon damals war absehbar, dass Noah Atubolu den Patz des wechselwilligen Mark Flekken im Tor des SC Freiburg übernehmen wird. So kam es dann im Sommer tatsächlich, der erst 21 Jahre junge Keeper kann mittlerweile auf eine Saison als Stammtorhüter im Oberhaus inklusive Euro League zurückblicken. Dabei zeigte der U21 Nationalspieler Licht und Schatten, geriet wegen einigen Patzern häufiger in Kritik. Bei einem blutjungen Torhüter ist das jedoch kein Grund zur Sorge, zumal man ihm in Freiburg das uneingeschränkte Vertrauen schenkt. Auf seine weitere Entwicklung darf man durchaus gespannt sein.
„Es ist mir viel zu unruhig mit ihm. Wir sind der SC Freiburg und haben einen 21 Jahre alten Torwart, der 40 Spiele gemacht und neunmal in der Liga zu null gespielt hat“ – Christian Streich
In der 2. Bundesliga sorgen derweil auch zwei junge deutsche Torhüter für Aufsehen. Vor allem Jonas Urbig (20), vom FC Köln an Greuther Fürth verliehen, beeindruckt. Nach Kickernoten ist er in der laufenden Saison bester Torhüter der Liga. Im Sommer geht es für ihn dann zurück zum Effzeh, wo beim bevorstehenden Abstieg die Nummer 1 Marvin Schwäbe wohl kaum zu halten sein wird. Wie einst Timo Horn soll sich mit Urbig das nächste Kölner Eigengewächs im Unterhaus im Kölner Kasten etablieren, ehe er sich nach dem sicherlich angestrebten Aufstieg zu einem Top-Keeper der Bundesliga mausert.
Überhaupt nicht als Stammspieler eingeplant war Tjark Ernst (21) der Berliner Hertha. Doch nach dem Prügel-Skandal um den als Nummer 1 aus Karlsruhe verpflichteten Marius Gersbeck war es der damals erst 20 Jahre alte Ernst, in Bochum ausgebildet und als Teenager nach Berlin gekommen, dem Pal Dardai das Vertrauen schenkte. In einer schwierigen Saison für den Absteiger war er einer der größten Lichtblicke und konnte sich wohl auch über die laufende Saison als Stammspieler etablieren.
Wir haben mit Jonas #Urbig gesprochen! 💬
— SPVGG GREUTHER FÜRTH (@kleeblattfuerth) October 11, 2023
Gerade ist der junge Keeper mit der U21 der @DFB_Junioren unterwegs. Davor hat er mit uns auf seine noch junge Karriere, in der er doch schon einiges erlebt hat, zurückgeblickt.
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Auch in den Niederlanden sammeln deutsche Nachwuchstorhüter wichtige Einsätze auf hohem Niveau. Als der Topclub Ajax Amsterdam im Sommer kolportierte 5 Millionen Ablöse für Ersatzkeeper Diant Ramaj nach Frankfurt überwies, war die Verwunderung groß, konnte der damals 21 Jahre alte Ramaj doch nur auf zwei Bundesliga-Einsätze zurückblicken. Anfangs noch auf der Bank, wurde der 1,89 m Mann beim kriselnden Giganten ins kalte Wasser geworfen und half mit starken Leistungen, Ajax zu stabilisieren. Aktuell fällt Ramaj, der auch noch für die Nationalmannschaft des Kosovo spielen könnte, mit einer Ellenbogenverletzung aus. 22 Ligaeinsätze sowie 8 im internationalen Wettbewerb sind dabei trotzdem eine Empfehlung für einen Stammplatz in der kommenden Saison – oder auch bald für höhere Aufgaben.
"Es ist geplant, dass ich im Sommer zurückkehre. Und dann ist es natürlich auch mein Ziel, irgendwann die Nummer eins zu werden. [...] Ich will im Sommer jedenfalls so weit sein, dass ich mit einer breiten Brust nach Bremen komme und in jedem Training zeige, was ich drauf habe." - Mio Backhaus
Weniger Strahlkraft als Ajax besitzt derweil der FC Volendam, trotzdem gibt es aus deutscher Sicht eine spannende Personalie im Tor des Abstiegskandidaten. Vor wenigen Tagen feierte Mio Backhaus seinen 20. Geburtstag, Stammspieler in der Eredivisie war er schon vorher, absolvierte in der laufenden Saison jedes Ligaspiel über die volle Spielzeit. Trotz 74 Gegentoren wusste er dabei beim Underdog aus der Küstenstadt über weite Strecken zu überzeugen. Im Sommer geht es für den in Japan aufgewachsenen Torhüter zurück zu seinem Stammclub Werder Bremen, wo er nach dem bevorstehenden Abgang von Jiri Pavlenka vorerst als Nummer 2 hinter Michael Zetterer eingeplant ist. Dem Vernehmen nach soll sich Backhaus vorerst mit dem Bankplatz zufriedengeben, ist jedoch intern als klarer Herausforderer von Zetterer eingeplant. Denkbar also, dass wir nächstes Jahr über den Bundesliga-Stammspieler Mio Backhaus reden.
Innerhalb eines Jahres haben also fünf junge, deutsche Torhüter den Schritt zu einem Stammplatz im bezahlten Fußball geschafft, sammeln Spielzeit auf hohem Niveau. Damit hat sich auch mein Blick auf die Zukunft der Torwartposition im deutschen Fußball etwas verändert. Zwar steht noch in den Sternen, ob einer der genannten Spieler das Niveau der Ausnahmespieler Neuer und ter Stegen auch nur annähernd erreichen kann, die Chancen auf eine positive Entwicklung stehen aktuell jedoch besser als in den vergangenen Jahren. Mit Spielern wie Dennis Seimen (VfB) oder Max Weiß (KSC) warten derweil weitere Ausnahmetalente in zweiter Reihe auf ihre Chance. Wir werden auch Ihre Entwicklung weiter im Blick behalten.